Zu kurze Verjährungsfrist?

Diskussion über neue Regeln bei der Strafverfolgung von Kindesmissbrauch

  • Ulrich Glauber, Frankfurt
  • Lesedauer: 2 Min.
In der deutschen Öffentlichkeit wird über eine Abschaffung der Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch diskutiert, wie sie die Schweizer Stimmbürger bereits im November 2008 beschlossen hatten. Die Bundesregierung ist indes bislang uneins.

Für Bundesbildungsministerin An-nette Schavan (CDU) ist das Bekanntwerden der zahllosen Fälle von Kindesmissbrauch Grund genug, um über eine Gesetzesänderung nachzudenken. Eine spätere Verjährung sei schon deshalb sinnvoll, weil »über Missbrauch erst nach vielen Jahren gesprochen wird und die Täter sonst womöglich straffrei blieben«, sagte die Unionspolitikerin unlängst der »Passauer Neue Presse«.

Unterstützung kommt von einer Seite, die beim Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch von Minderjährigen und Abhängigen in letzter Zeit auf Kritik gestoßen war: »Das Wichtigste sind die Opfer, ihnen muss die Justiz Gerechtigkeit zukommen lassen«, so der katholische Erzbischof Ludwig Schick aus dem oberfränkischen Bamberg. Er plädierte dafür, die Verjährungsfrist im Strafrecht auf 30 Jahre auszudehnen.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist da allerdings skeptisch. Für die Liberale reicht die jetzige Regelung aus. Derzeit liegt die Verjährungsfrist bei zehn, in besonders schweren Fällen bei 20 Jahren. Fristbeginn ist der 18. Geburtstag der Opfer. Damit soll es den unmündigen Betroffenen ermöglicht werden, später als Volljährige innerhalb der Verjährungsfrist selbst Anzeige erstatten zu können.

Die Justizministerin ließ ihren Sprecher angesichts dieser Rechtslage erklären, Opfer zurückliegender Verbrechen könnten von Gesetzesänderungen wohl nicht profitieren. »Es braucht ein klares Signal an die Opfer, wie zum Beispiel das Gespräch über freiwillige Wiedergutmachungen in den Fällen, in denen die rechtliche Verjährung eingetreten ist«, empfiehlt Leutheusser-Schnarrenberger.

Im Bundesjustizministerium weist man zudem darauf hin, dass die rückwirkende Änderung von Verjährungsfristen problematisch sei. In der alten Bundesrepublik war mit Blick auf die strafrechtliche Verfolgung nationalsozialistischer Greueltaten die Verjährung von Mordtaten aufgehoben und dieser Beschluss auch vom Verfassungsgericht betätigt worden. Juristen bezweifeln, dass das Bundesgericht sexuellen Missbrauch ähnlich bewerten würde.

Die deutsche Debatte ist inzwischen auch nach Österreich geschwappt. Angeregt durch das Ergebnis einer Schweizer Volksabstimmung vom 30. November 2008 über die »Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern«, der eine knappe Mehrheit zugestimmt hatte, setzte Wien im vergangenen Jahr das Datum, ab dem die Strafbarkeit von Sexualtaten an Minderjährigen verjährt, vom 18. auf den 28. Geburtstag des Opfers herauf. Die Verjährungsfrist selbst beträgt in Österreich – abhängig von Schwere und Folgen der Tat – zwischen fünf und zwanzig Jahren. »Man kann die internationale Diskussion zum Anlass für einen Nachdenkprozess nehmen«, sagte jetzt ein Sprecher des österreichischen Justizministeriums einer Wiener Tageszeitung. Konkrete Pläne für eine Novelle gebe es aber keine.

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