Bundessozialgericht: »Härtefall-Leistungen« unter Umständen auch rückwirkend
Hartz IV
Härtefall-Leistungen für Hartz-IV-Empfänger sind nach einem Urteil des Bundessozialgerichts auch rückwirkend möglich. Voraussetzung dafür sei, dass die Bescheide noch nicht rechtskräftig geworden sind, entschied kürzlich das Gericht in Kassel. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor geurteilt, dass Empfänger ab sofort einen besonderen Bedarf geltend machen können, wenn dieser durch die bisherigen Zahlungen nicht gedeckt ist. Auch mit einem zweiten Urteil stärkte das oberste deutsche Sozialgericht die Rechte von Langzeitarbeitslosen.
Im konkreten Fall hatte eine schwer gehbehinderte Frau eine Pauschale von 59 Euro monatlich beantragt, weil sie besondere Ausgaben für orthopädische Schuhe und Taxifahrten habe. Die Arbeitsgemeinschaft Düsseldorf hatte das mit der Begründung abgelehnt, dass sie trotz ihrer Behinderung erwerbsfähig sei. Die Pauschale stehe nur Menschen mit Behinderungen zu, die nicht arbeiten könnten.
Das Bundessozialgericht entschied, das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen müsse prüfen, ob die Frau einen »unabweisbaren, laufenden, nicht einmaligen« Mehrbedarf hat. Dieser stehe ihr auch rückwirkend zu. Dafür muss die Frau belegen, dass sie wegen ihrer Behinderung von 2005 bis 2006 einen atypischen Bedarf hatte, der von den Regelleistungen nicht abgedeckt wurde (Az: B 4 AS 29/09 R).
Auch in einem zweiten Fall stärkte das oberste Sozialgericht die Rechte von Hartz-IV-Empfängern. So dürfe das Geld nur dann gekürzt werden, wenn dem Betroffenen zuvor das Ausmaß der Sanktion konkret dargelegt wurde. Es reiche nicht, eine »umgeformte Wiedergabe des Gesetzestextes« vorzulegen. (Az: B14 AS 53/08 R)
Geklagt hatte eine Frau aus Mettmann bei Düsseldorf, der das Arbeitslosengeld II gekürzt wurde, weil sie bei ihrem 1-Euro-Job in einem Kindergarten unentschuldigt gefehlt hatte. Die Kürzung sei nicht rechtens gewesen, weil die Frau nicht ausreichend über die Folgen ihres Fehlens aufgeklärt worden sei, entschieden die Richter. Den Betroffenen müsse genau mitgeteilt werden, welche konkreten Sanktionen ihnen drohen.
Bei der Information der Frau zu Beginn ihrer Tätigkeit im Kindergarten habe es sich lediglich um eine »umgeformte Wiedergabe des Gesetzestextes gehandelt«, so der Vorsitzende Richter. Dies sei nicht ausreichend. Die Frau hatte im Januar 2007 der Arbeitsgemeinschaft mitgeteilt, dass sie bis zur Klärung ihrer Urlaubsansprüche nicht zur Arbeit kommen werde. In der Antwort fand sich nur der Hinweis, dass das zur Kürzung ihres Leistungsanspruchs führen könne. Dem Gericht zufolge hätte aber genau aufgeführt werden müssen, wie viel Geld für welchen Zeitraum einbehalten werden kann.
In einem dritten Fall urteilte das BSG dagegen, dass bei Eheleuten, die getrennte Wohnungen haben, das Einkommen des einen Partners auf die Hartz-IV-Leistungen des anderen angerechnet werden kann.
Im konkreten Fall war einer Frau aus Osnabrück 2005 die Hartz IV-Leistung gestrichen worden, nachdem sie geheiratet hatte. Die Arbeitsgemeinschaft hatte argumentiert, dass der Ehemann eine ausreichend hohe Rente habe. Das Bundessozialgericht hielt das für rechtens und gab den Fall zurück an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. (Az: B 4 AS/49/09 R).
Übrigens – um auf das eingangs genannte Thema noch einmal zurückzukommen: Eine rückwirkende Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht gibt es nicht. So entschied jedenfalls das Saarländische Oberverwaltungsgericht (OVG). Nach dem Richterspruch gilt dies selbst dann, wenn die Voraussetzungen einer Befreiung auch schon in der Vergangenheit vorgelegen haben. Maßgebend sei allein der Zeitpunkt der Antragstellung (Az: 3 A 461/08).
Das Gericht lehnte den Antrag eines Schwerbehinderten auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Saarlouis ab. Der Kläger hatte sich dagegen gewandt, dass er als Schwerbehinderter nur für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit von der Rundfunkgebührenpflicht befreit worden war. Schließlich habe die Schwerbehinderung bisher schon vorgelegen.
Wie bereits das Verwaltungsgericht ließ auch das OVG diese Argumentation nicht gelten. Vielmehr seien hier die gleichen Grundsätze wie im Subventions- oder Sozialrecht anwendbar. Danach komme eine Förderung immer nur für die Zukunft, nicht aber rückwirkend infrage.
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