Bundeswehr brach Merkels Versprechen

Militärführung verhinderte Kundus-Untersuchung / Packen Schneiderhan und Wichert aus?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Heute tagt der Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages zum ersten Mal öffentlich. Vorgeladen sind der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und der Ex-Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert.

Beide hätten heute Gelegenheit, sich für ihren Rauswurf durch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu revanchieren. Der hatte behauptet, sie hätten ihm wichtige Informationen über den Luftangriff vom 4. September 2009 vorenthalten, bei dem über 140 Afghanen umgebracht wurden

Die Revanche wäre einfach mit der Wahrheit zu bewerkstelligen. Politisch wichtiger als die Wiederherstellung persönlicher Integrität sind aber Auskünfte über die vorsätzlich falsche Informationspolitik der schwarz-roten Bundesregierung. Guttenbergs Vorgänger Franz-Josef Jung (CDU) und die Militärführung leugneten wochenlang, dass bei dem vom deutschen Oberst Georg Klein befohlenen Angriff Zivilisten umgekommen sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am 8. September 2009 vor dem Parlament die »lückenlose Aufklärung des Vorfalls« versprochen, das sei für sie und die ganze Bundesregierung »ein Gebot der Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr wird mit allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu beitragen.« Doch genau das tat die Bundeswehr nicht.

Die – zum Teil noch immer unter Verschluss gehaltenen – Fakten: Als Brigadegeneral Jörg Vollmer, damals ISAF-Militärchef der afghanischen Nordregion, am 4. September kurz vor acht Uhr afghanischer Zeit die Meldung über den Bombenangriff erhielt, sei ihm klar gewesen, dass es zivile Opfer gegeben hat. So teilte er es dem Untersuchungsausschuss am Montag mit. Und so hatte er es am Morgen des 4. September auch mit dem Kommandeur des Potsdamer Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Rainer Glatz, besprochen. Der wiederum erinnert sich genau, im morgendlichen Video-Gespräch mit dem stellvertretenden Generalinspekteur Johann-Georg Dora und anderen Ministeriumsmilitärs mitgeteilt zu haben, dass zivile Opfer nicht auszuschließen sind.

Sein »Bauchgefühl« deckte sich mit einem sogenannten INTSUM-Bericht, den der zuständige Bundeswehr-Nachrichtendienstler in Kundus am 4. September 15.30 Uhr Ortszeit ins interne ISAF-Netz gestellt hat. Dann notierte der penible Glatz nach einem Telefonat mit Vollmer: Brigadegeneral Vollmer »hat gegen 20 Uhr veranlasst, dass die Meldung wieder aus dem Netz genommen wird«. Glatz wie Vollmer begründeten das Löschen damit, dass die Meldung – was absolut üblich ist – nicht vom Kundus-Oberst Klein autorisiert war.

Es ist jedoch auch eine andere Deutung der Vorgänge möglich. Am 4. September um 6 Uhr hatte das Verteidigungsministerium bereits seine Desinformationskampagne gestartet und eine Pressemeldung veröffentlicht, wonach beim Angriff 50 feindliche Kämpfer getötet wurden. »Unbeteiligte«, so wiederholte der Ministeriumssprecher Christian Dienst kurz darauf vor der Bundespressekonferenz, seien »nicht zu Schaden gekommen«.

Die Sprachregelung »keine zivilen Opfer« war ausgegeben, obwohl deutsche Feldjäger vor Ort bereits am 4. September zu anderen Erkenntnissen gelangt waren. Am 7. September hat Generalinspekteur Schneiderhan befohlen, sofort alle deutschen Untersuchungen einzustellen. General Glatz wurde persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass die letzte Kopie des Untersuchungsberichtes aus Kundus nach Deutschland geschafft und hier »gesichert« wird. Die für den 7. September angesetzte Vernehmung von Oberst Klein fiel aus. Offiziell hieß es, man wolle den amtlichen NATO-Bericht abwarten. Im Hintergrund stand vermutlich die Absicht, das Thema vor der Bundestagswahl am 27. September »klein« zu halten. Erst am 29. September meldete sich Schneiderhan wieder und nannte – entgegen dem NATO-Bericht – den Angriff »militärisch angemessen«.

Auskünfte dazu könnte auch das Auswärtige Amt geben. Dort waren ebenfalls bereits am 4. September E-Mails aus Kundus über getötete und verwundete Zivilisten angekommen. Entsprechend rhetorisch vorsichtiger taktierte der damalige Vizekanzler und Amtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Die militärische Taktik ist durchschaubar, nun müsste der Ausschuss klären, wer die politische Strategie bestimmte. Der heute ebenfalls vorgeladene Ex-Staatssekretär Peter Wichert böte sich als der Sündenbock an, der Merkels Versprechen torpedierte. Lehnt er diese Rolle ab, könnte die des Kanzleramts interessant werden.

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