Lehman-Zertifikate: Rechtschutzversicherung zur Zahlung verurteilt
Geldanlage
Die private Geldanlage ist bei Rechtschutzversicherern kaum noch zu versichern. Altverträge bieten besseren Schutz
Was hat eine Sparanlage mit einem atomaren Unfall oder mit kriegerischen Ereignissen gemeinsam?, fragt Verbraucherschützer Arno Gottschalk mit schwarzem Humor. Seine überraschende Antwort: »Auch eine Geldanlage ist in der Rechtsschutzversicherung kaum noch versicherbar.«
Viele Menschen haben in der Finanzmarktkrise Geld »verloren«. Sie könnten nach Auffassung von Experten jedoch durchaus aussichtsreiche Ansprüche gegen Banken und Finanzvermittler geltend machen, wenn sie ihr Recht vor Gericht einklagen würden. Doch häufig kommt es nicht zur Klage, denn der Rechtschutzversicherer verweigert den Geschädigten den sogenannten Deckungsschutz. Der Versicherer will also mögliche Kosten für Gericht und Anwalt nicht bezahlen, nicht »decken«. Möglicherweise zu Unrecht, wie kürzlich das Amtsgericht Mannheim zu erkennen gegeben hat.
50 000 Geschädigte allein in Deutschland
Allein mit »Lehman-Zertifikaten« haben bis zu 50 000 Geschädigte in Deutschland ihr Geld verloren. Über ihre Hausbanken waren sie an Zertifikate der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers Inc. gelangt. Zertifikate sind moderne Wertpapiere. Mit ihnen werden komplizierte Finanzmodelle nachgebildet. So kann mit Zertifikaten beispielsweise der amerikanische Aktienindex Dow Jones nachgebildet oder in Kaffeeernten investiert werden. Der Clou: Im Unterschied etwa zu Aktien steckt im Zertifikat kein realer Wert, weder echter Kaffee noch echte Aktien.
Versprochen wurden hohe Rendite und große Sicherheit
Finanzinstitute versprachen ihren Zertifikate-Kunden neben einer attraktiven Rendite eine nahezu vollständige Garantie des eingesetzten Geldes. Besonders aktiv sollen die Hamburger und die Frankfurter Sparkasse sowie die Dresdner Bank und die Citibank diese Wertpapiere angeboten haben. Viele Anleger, insbesondere ältere Kunden, hatten daraufhin hohe Summen in die Papiere investiert. Zum Teil flossen die gesamten Ersparnisse in Zertifikate. Wer rechnete schon ernsthaft damit, dass eine der weltweit führenden Banken Pleite gehen könnte. Notfalls würde doch der Staat einspringen. Er tat es jedoch im September 2008 nicht. Lehman in New York war pleite, seine Zertifikate wertlos.
Die meisten Anleger erkannten erst nach der Lehman-Pleite, als es zu spät war, dass eine Kapitalgarantie bei Zertifikaten stets lückenhaft ist. Im Gegensatz zu anderen Produkten wie Festgeldanlagen unterliegen die auf Optionen aufbauenden Papiere nicht der deutschen Einlagensicherung. Da es sich bei Zertifikaten um Inhaberschuldverschreibungen handelt, tragen Anleger wie bei Anleihen ein sogenanntes Emittentenrisiko: Geht die Bank vor der Rückzahlung des Zertifikats pleite, drohen hohe Einbußen bis hin zum Totalverlust.
»Die meisten Anleger kauften Zertifikate, ohne angemessen über diese Risiken aufgeklärt worden zu sein«, kritisiert Arno Gottschalk von der Verbraucherzentrale Bremen. Manchmal regelten die Banken den Schaden unter der Hand mit ihren Kunden. Einige Zertifikate-Geschädigte haben bereits erfolgreich geklagt und Recht bekommen. Viele Prozesse laufen noch.
Glück hat, wer in dieser Situation auf eine Rechtschutzversicherung zurück greifen kann, darf man in einem solchen Fall vermuten. Tatsächlich erlebten viele geschädigte Bankkunden aber noch eine zweite herbe Enttäuschung: Ihr Rechtschutzversicherer verweigert die Hilfestellung! Die Assekuranzkonzerne verweisen auf eine Klausel im Kleingedruckten: Diese besagt, dass Streitfälle aus »Termin- und vergleichbaren Spekulationsgeschäften« vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind.
Ausnahmeregelungen stehen im Kleingedruckten
Konfrontiert mit dieser Abfuhr, gaben viele geprellte Sparer vorzeitig auf. Aus naheliegenden Gründen möchten sie das finanzielle Prozessrisiko nicht selbst tragen. Dafür hatte man ja schließlich einst eine Rechtschutzversicherung abgeschlossen. Erst recht wollen Verbraucher nicht vorher noch ihre Rechtschutzversicherung verklagen.
In einem Fall kam es anders. Eine Lehman-Geschädigte, die bei der NRV Neue Rechtschutzversicherung versichert ist, hat sich nicht von solchen Hürden abschrecken lassen und ist gegen den Versicherer vor das Amtsgericht Mannheim gezogen. Mit Erfolg: Das Gericht gab zu erkennen, dass bei den als sicher angepriesenen Lehman-Papieren nicht die typischen Gefahren von Termin- und ähnlichen Spekulationsgeschäften vorlagen.
Assekuranz wollte Urteil zuvor kommen
Die Rechtschutzversicherung müsste also die Prozesskosten zahlen. Um einem entsprechenden, wegweisenden Urteil zuvor zu kommen, knickte der Versicherer ein und sagte die Übernahme der Klage und der Anwaltskosten zu.
Anleger, die ähnliche Absagen von ihrem Rechtschutzversicherer erhalten haben, sollten also nicht vorschnell resignieren, rät Gottschalk.
Tipp: Prüfen Sie zunächst genau, was in ihrem Vertrag steht.
Bei Klauseln, die lediglich die genannten »Termin- und verbundene Spekulationsgeschäfte« ausschließen, bestehen nunmehr gute Chancen, dass Sie Rechtschutz von Ihrem Versicherer erhalten. Nach den Erfahrungen mit den Mannheimer Richtern dürften es andere Rechtschutzversicherer lieber nicht auf eine gerichtliche Klärung ankommen lassen.
Allerdings lässt sich der Mannheimer Fall nicht auf alle Rechtschutzversicherungen übertragen. Gerade in den neueren Verträgen ist zumeist der Risikoausschluss noch weiter gefasst und es besteht ausdrücklich kein(!) Rechtschutz für:
»den Ankauf, die Veräußerung und die Verwaltung von Wertpapieren (z. B. Aktien, Rentenwerte, Fondsanteile), Wertrechten, die Wertpapieren gleichstehen, Beteiligungen (z. B. an Kapitalanlagemodellen, stille Gesellschaften, Genossenschaften) und deren Finanzierung«.
Für die meisten Versicherungsgesellschaften stehen Rechtsforderungen aus der Kapitalanlage damit mittlerweile auf einer Stufe mit Schadensersatzansprüchen nach inneren Unruhen, nuklearen Unfällen und kriegerischen Ereignissen. Diese sind alle nicht versicherbar, weil im schlimmsten Fall der Schaden viel zu groß wäre.
»Was nochmals ein bemerkenswertes Licht auf die Zustände am deutschen Finanzdienstleistungsmarkt wirft«, meint Gottschalk. Bei Verträgen mit einem solchen weitgehenden Risikoausschluss haben die Versicherten auch nach dem Mannheimer Fall keine Chance auf eine Deckungszusage.
Besser sind Verbraucher gestellt, die noch einen älteren Vertrag besitzen. In älteren Rechtsschutzversicherungen wird die Wertpapieranlage zumeist noch abgedeckt! Vorsicht deshalb, wenn der Versicherer mit einem angeblich besseren neuen Tarif lockt und Sie zum Tarifwechsel überreden möchte. »Viele Rechtschutzversicherte sind darauf schon hereingefallen«, warnt Versicherungsexperte Gottschalk.
Wichtig ist deshalb: Wer an einem Rechtschutz für die Kapitalanlage interessiert ist, muss penibel auf das Kleingedruckte achten. Es gibt noch Versicherungsgesellschaften, die diesen Bereich nicht vollständig ausschließen.
HERMANNUS PFEIFFER
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.