Ein Teddybär am weißen Sarg
Georg Friedrich Händels »Admeto, König von Thessalien« an der Oper Leipzig
Eine unter Forschern seit langem kontrovers diskutierte Frage kam ihrer Beantwortung bei der jüngsten Leipziger Opernpremiere ein deutliches Stück näher. Es ist die Frage nach der gattungstypischen Instrumentierung der sogenannten »Seifenoper«. Wie sich zweifelsfrei herausstellte, ist das Melodika-Quintett die gattungsgerechte Besetzung. Immer zu den dramatischen Schaltstellen des vom berühmten Händel in Musik gesetzten und schon vor einiger Zeit verfilmten Royal-Dramas »Admeto« ertönten die klangsensiblen Instrumente.
Endlich einer offiziellen Veranstaltung entkommen, betritt das junge Königspaar Admeto und Alceste die Halle von Schloss Balmoral, nimmt einen Schluck Wein und während man die Schlafgemächer betreten möchte, bricht Admeto im Treppenhaus zusammen. Auf dem Krankenlager ertönen ihm die Melodikas wie Geisterstimmen zu einer Fieberfantasie: Wenn ein ihm nahestehender Mensch für ihn stürbe, würde er genesen.
Tatsächlich gerät die hypersensible Königin bei stark überhöhter Geschwindigkeit mit ihrem Wagen von der Fahrbahn ab – ihr genesener Gemahl hört am Telefon die Schreckensnachricht. Unter den Klängen des von fünf Melodikas intonierten Trauermarsches »Lascia ch'io pianga« werden ihre sterblichen Überreste in der Familiengruft auf Balmoral beigesetzt.
Der vorgeblich trauernde König Admeto wird jedoch alsbald immer häufiger mit der trojanischen Prinzessin Antigona gesehen, die sich peinlicherweise als Gärtnerin auf Balmoral hat einstellen lassen. Ihre gesellschaftliche »Klasse« demonstriert sie in der Küche, umringt vom natürlich Melodika spielenden Personal. Zu allem Überfluss stellt ihr auch Prinz Trasimede, Bruder des herrschenden Königs, ebenso intensiv wie hoffnungslos nach. Seinen Misserfolg ertränkt er im Kreise der Bediensteten, bei Melodika-Jazz.
Alceste indes, Königin der Herzen und im Outfit der früheren monegassischen Fürstin Gracia Patricia auffallend ähnlich, wurde vom Vertrauten der Königsfamilie, Herkules, im letzten Moment gerettet. Sie lebt nun inkognito auf Balmoral und muss sich täglich mit der »Gärtnerin« auseinandersetzen. Die Situation eskaliert, als das endlich doch wieder versöhnte Königspaar zum Gesang »Nun sind wir zufrieden« – beim Klang der Melodikas natürlich – gemeinsam einem Giftanschlag zum Opfer fällt. Herkules wird als Täter identifiziert.
Der Film endet hier; in der Realität der Leipziger Royals werden der Bruder des Königs und Antigona zum Herrscherpaar gekrönt.
Das junge Künstlerteam ATEF mit dem Regisseur Tobias Kratzer, dem Ausstatter Rainer Sellmaier und den fünf musizierenden »Bühnengeistern« hat beim Grazer Nachwuchs-Regie-Wettbewerb »RING AWARD« den Jury-, Kritiker- und Publikumspreis gewonnen. Peter Konwitschny, Chefregisseur in Leipzig, engagierte sie sofort für den »Vorabend« zu seinem Gluck-Zyklus. Am 17. April wird er mit »Alceste«, Glucks stringent tragischer Sicht auf denselben mythischen Soff, den Händel im »Admeto« verarbeitete, beginnen. Da Händel für zwei Primadonnen gleichwertige Rollen schaffen musste, erweiterte er den Stoff um die Dreiecksgeschichte Alceste-Admeto-Antigona.
ATEFs »Gala«- und »Bunte«- kompatibler Blick auf das Stück kehrt die komischen Seiten von Händels Gesellschaftssatire deutlich hervor. Die realistischen Details der Vergegenwärtigung, die Gruppe der durch Schlosshalle drängelnden zahlenden Gäste, die der Teddybär am weißen Sarg der toten Alceste, stimmen so gut, weil sich in bestimmten Realitätsschichten seit Händel wenig veränderte.
Den Friseurzeitschriften-Realismus unterläuft Kratzer aber dann doch mit seinen schräg musizierenden Geistern. Schwarz befrackt durch das gesamte Theater wandelnd, kehren sie die Handlung vor allem mittels ihrer Instrumente immer wieder ins Unheimliche, in der Hexenküche als Begleitband zu Antigonas heiterster Arie gar ins Shakespearische.
Im hochgefahrenen Orchestergraben des großen Leipziger Theaters musizierten ein Kammerorchester aus Musikern des Gewandhauses und einige Alte-Musik-Spezialisten als Continuo-Gruppe. Obwohl sich Federico Maria Sardelli erfolgreich um ein stilgenaues Spiel bemühte, kann der Klang moderner Instrumente, obwohl mit barocker Tongebung gespielt, einfach nicht die Biegsamkeit und Beredsamkeit historischer Instrumente erreichen. Vor allem der Streicherklang atmete nicht, blieb besonders vor der Pause statisch glatt.
Auch die beiden gar zu glasklaren und sehr hellen Frauenstimmen von Soula Parassidis als zerbrechlich blonder Alceste und der winzig kleinen Elena Tokar als Femme-fatale-mäßiges Girlie Antigona überzeugten am ehesten im Virtuosen. Der zum famosen Countertenor herangereifte Hagen Matzeit dagegen gab seinem Admeto trotz gelegentlicher Intonationstrübungen sehr überzeugendes vokales Leben. Als ein Schauspieler von Gnaden erwies sich einmal mehr Axel Köhler. Schlurfig wieselnder Gang, hängende Schultern, fertig ist der Versager – der zum Schluss alles kriegt. Nicht nur bei Trasimede: gute Laune im Leipziger Opernhaus.
Nächste Vorstellung am 25.3.
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