Lernen, das Schlechte schönzureden
Am Bodensee soll eine Professur für »Reformkommunikation« eingerichtet werden
Reformkommunikation, das ist, was das wissenschaftliche Ordnungsgefüge anbelangt, ungefähr so, als wenn man innerhalb der Veterinärmedizin noch eine Professur für das Schweineschlachten ansiedelt. Und das, was bei der »Reformkommunikation« geschlachtet werden soll, ist der mündige Bürger. Denn wie man ihm das Fell über die Ohren zieht und er dabei noch immer meint, das sei zu seinem Besten, das ist der Gegenstand der »Reformkommunikation«.
Wer genauer wissen will, was es mit diesem Begriff auf sich hat, der kann sich zum Beispiel in einem »Diskussionspapier« der als äußerst reformfreudig bekannten Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel: »Politische Reformkommunikation. Veränderungsprozesse überzeugend vermitteln«, informieren. Dort konstatiert man zunächst den Ist-Zustand und der fällt für die Politiker nicht besonders schmeichelhaft aus: Eine Mehrheit der Bürger ist unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie, das Vertrauen in die Regierung schwindet.
Schlechte Noten also für die herrschende politische Klasse. Wo so das Volk gegen ihre Volksvertreter grummelt, sieht die »Reformkommunikation« ihre Stunde gekommen. Gerade bei Reformen, die »schmerzliche Eingriffe in die Besitzstände relevanter Wählergruppen bringen«, so das Bertelsmann-Papier, müssten die »vorhandenen gesellschaftlichen Werte- und Einstellungsmuster« durch »gezielte Kommunikationsstrategien« verändert werden. Schmerzhafte Eingriffe meint dabei nicht zum Beispiel steuerliche Eingriffe bei den Höchstverdienern, denn diese sind trotz des Einsackens eines Großteils des Einkommens keine quantitativ relevante Wählergruppe. »Reform »ist hier eben kein »politisch neutraler« Begriff, wie die Zeppelin-Universität, die übrigens kein Promotionsrecht besitzt, auf Nachfrage zur ausgeschriebenen Juniorprofessur behauptet. Sowohl die mehr oder weniger unausgesprochenen Grundvoraussetzungen wie auch die Ziele dieser Kommunikation sind selbstverständlich sehr wohl mit den Interessen gesellschaftlicher Gruppen verbunden und keineswegs neutral.
So wird der Begriff der Reform selbst quasi als Entität gebraucht, als ob es nicht höchst unterschiedliche »Reformen« gäbe. Rein vom Begriff gegeben erscheint in der »Reformkommunikation« die Reform aber als politisches Neutrum, dem es – ganz technokratisch wertfrei – zur Durchsetzung zu verhelfen sei. Wohin eine Reform zielt, ist dabei völlig egal, in diesem Sinne waren auch die nationalsozialistischen Rassengesetze eine »Reform«.
So entblödet sich das Bertelsmann-Papier auch nicht festzustellen, die von der »Agenda 2010 eingeleitete Reformpolitik« sei nicht an den Inhalten, sondern an dem »Mangel an problemadäquatem, konsistentem kommunikativen Verhalten der politischen Akteure« gescheitert. Nicht der Absturz der Menschen in Hartz IV, sondern die fehlende Verbrämung dieses Sozialabbaus sind die Ursachen für die Wahl-Katastrophe der SPD, lautet also die Schlussfolgerung der »Reformkommunikatoren«.
Demzufolge gilt es auch, auf keinen Fall Klartext zu sprechen, sondern eine Art »Neusprech« im Sinne von Georg Orwells »1984« in Gang zu setzen. »Dem kommunikativen ›Framing‹ – dem Besetzen bestimmter Begriffe – im Rahmen eines positiven Reformdiskurses kommt deshalb ein zentraler Stellenwert zu«, heißt das bei Bertelsmann. Der Abbau von Kündigungsschutz wird dann zur »Flexibilisierung«, die Zerstörung der Sozialsysteme zu »Eigenverantwortung«, etc.
Praktiziert wird dies schon seit Langem durch die mittlerweile bekannt-berüchtigte »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) der Metallarbeitgeberverbände. Ihr Ziel als »Agentur für Reformkommmunikation«: Die »nachhaltige Förderung der Reformbereitschaft«. Im Gleichlaut Bertelsmann: »Die Fähigkeit zur strategischen Reformkommunikation fördert die Reformbereitschaft der Bürger«.
Dieser Bürger ist hier nicht der mündige Bürger und auch nicht der Souverän, sondern das Objekt der Manipulationsversuche von Technokraten. Früher nannte man das im politischen Bereich schlicht Propaganda. Die Kommunikationswissenschaft kann in Deutschland hier auf eine spezielle Tradition zurückblicken. Ihr Vorfahre, die Zeitungswissenschaft, konnte als »hervorragende nationalsozialistische Wissenschaft« während des »Dritten Reiches« die Zahl ihrer Lehrstühle vermehren.
Nun soll sich also eine Art »Entenwissenschaft«, wie der Soziologe Max Weber seinerzeit die Zeitungswissenschaft titulierte, als »Reformkommunikation« etablieren, deren Inhalt ganz offensichtlich die Kunst der Überredung derer ist, die »schmerzliche Einschnitte« durch neoliberale Politik zu erleiden haben. Die Reform-Zirkusarena soll neben der Propagandaagentur ISMN und Bertelsmann offensichtlich durch eine akademische Variante ergänzt werden. Es hat schon einen gewissen Beigeschmack, wenn in Zeiten, in denen das Bundesverfassungsgericht den »Reformen« eine Ohrfeige nach den anderen verpasst, eine Professur für »Reformkommunikation« eingerichtet werden soll.
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