Weltstädteforum unter Asbestdächern

UN-Tagung blendete die massiven Probleme am Konferenzort Rio de Janeiro aus

  • Norbert Suchanek, Rio
  • Lesedauer: 3 Min.
Das UN-Weltstädteforum ist mit einem Aufruf für »gerechtere, demokratischere und menschlichere« Städte zu Ende gegangen. Jede Form der Diskriminierung müsse abgeschafft, allen Bürgern gleichermaßen Zugang zu angemessenem Wohnraum und zu öffentlichen Leistungen gewährt werden, heißt es darin. Ein ziemlich fernes Ziel, wie am Konferenzort Rio hätte beobachtet werden können.

Konzerne wie Siemens, BASF und der Wasserversorger Veolia gehörten zu den offiziellen »Helden« des fünften »World Urban Forums« des UN-Wohn- und Siedlungsprogramms (Habitat) in Rio de Janeiro. Als neue Partner der UN-Stadt-Kampagne sollen diese mithelfen, die wachsenden Metropolen und ihre Bevölkerungen in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Die anderen »Helden« waren Rios Bürgermeister Eduardo da Costa Paes, Gouverneur Sérgio Cabral und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.

Von der Eröffnungsrede bis zum Abschluss Ende vergangener Woche zeigte sich ein Geist von Schönfärberei und Greenwashing. Lula lobte die »Stadterneuerung, die gerade in Rio de Janeiro geschieht«. UN-Habitat-Chefin Anna Tibaijuka erklärte, es sei gut, »in dieser wunderschönen Stadt zu sein, die so viel zur Überbrückung der städtischen Kluft zwischen Arm und Reich tut«.

Die Realität ist freilich eine andere: Stadtverfall, Verelendung und bürgerkriegsähnliche Polizeiaktionen in den Armenvierteln (Favelas) prägen das Bild. Der Präsident der Vereinigung der Favelas im Staat Rio de Janeiro, Rossino Castro, erklärte, die Regierung behaupte, sie saniere die Favelas. In Wirklichkeit würden diese lediglich zugemauert und wären damit nicht mehr sichtbar.

Der UN-Habitat-Bericht zur »Lage der Städte 2010/2011« lobt, Brasilien habe seine Slumbevölkerung in den vergangenen zehn Jahren um 16 Prozent reduziert. Dem hält der Gründer der Sozialforschungsinstitution Observatório de Favelas in Rio, Jailson de Souza, entgegen, die UN-Forscher hätten möglicherweise einige der bevölkerungsreichen Favelas nicht als Armensiedlung erkannt. Zum offiziell registrierten Rückgang der Slumbevölkerung hat möglicherweise auch die Politik der Kriminalisierung von Armut beigetragen. In Brasilien nehme die Zahl der Gefängnisinsassen um jährlich zehn Prozent zu, während die Gesamtbevölkerungszahl lediglich um 1,4 Prozent wachse, kritisiert der Abgeordnete Marcelo Freixo.

Während UN-Habitat-Chefin Tibaijuka in ihrer salbungsvollen Abschlussrede keinerlei Bedenken zur Ausrichtung der Fußball-WM und der Olympischen Spiele in Rio hegte, fürchten Repräsentanten der Favelas eine Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. So müssten allein für die geplanten Infrastrukturprojekte zur Ausrichtung der beiden Mega-Events etwa 119 Favelas beseitigt oder umgesiedelt werden. Guilherme Marques, Historiker an der Universität von Rio, erinnert daran, dass bereits die Pan-Amerikanischen Spiele 2007 mit einem von der Militärpolizei in der Favela »Complexo do Alemão« angerichteten Massaker begannen, bei dem wenigstens 19 Bewohner starben.

Solche Stimmen waren in den teilweise überfüllten Konferenzräumen kaum zu vernehmen. Die Kritiker versammelten sich ein paar Häuserblocks entfernt zum »Fórum Social Urbano«. Da keine Brücke zwischen den beiden Gipfeln geschlagen wurde, entging den allermeisten der rund 20 000 Teilnehmer der »UN-Habitat 5« auch eines der in naher Zukunft gravierendsten Gesundheitsprobleme der ärmeren Bevölkerung in den brasilianischen Metropolen, obwohl es im wahrsten Sinne über den Köpfe schwebte: asbestverseuchte Eternitplatten. Bis heute lässt Brasilien rund 200 000 Tonnen krebserregendes Asbest pro Jahr abbauen und zu Faserzement weiterverarbeiten, was in Europa längst verboten ist. Brasiliens ärmere Bevölkerung in den Favelas der Großstädte und in den zunehmend »verslumenden« Indianerdörfern sind Hauptabnehmer – mit langwierigen gesundheitlichen Folgen.

Beim nächsten UN-Habitat-Forum 2012 werden die Probleme der Armensiedlungen auch räumlich weit entfernt sein: Es findet in Bahrain statt.

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