Lagarde spricht aus, was Sarkozy denkt
Frankreichs Wirtschafts- und Finanzministerin ist auch für Undiplomatisches zuständig
Dass die französische Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde am Mittwoch als Gast an der Kabinettssitzung im Berliner Kanzleramt teilgenommen hat, ist die realpolitische Erfüllung eines Wunschtraums von Präsident Nicolas Sarkozy. Allerdings auf bescheidenerer Ebene: Eigentlich sollte, um die deutsch-französischen Beziehungen besser zu koordinieren, jede Seite einen Minister ernennen, der an den Tagungen der Partnerregierung teilnimmt.
Aber das ging den Deutschen denn doch zu weit. Die eher bedächtige Bundeskanzlerin Angela Merkel ist schon genervt von den wiederholten indirekten und nur zu oft auch sehr direkten »Umarmungsversuchen« des dynamischen Sarkozy. Wenn der ihr Unangenehmes zu sagen hat, benutzt der Präsident nicht selten als Sprachrohr seine Ministerin Lagarde. Erst vor zwei Wochen schoss sie in einem Interview eine Breitseite in Richtung Berlin ab. Der Exportüberschuss Deutschlands sei »unerträglich« für seine Nachbarn in der Eurozone, verkündete da die Ministerin. Am nächsten Tag legte sie nach und empfahl der deutschen Regierung, die Steuern zu senken, »um den Konsum im Land selbst anzukurbeln«. Damit mischte sich Paris kräftig in das erbitterte Tauziehen in der schwarz-gelben Koalition über Steuersenkungen und Konsumförderung ein.
Für solche Husarenritte ist Christine Lagarde die Richtige. Im Vergleich zu anderen, eher diplomatisch lavierenden französischen Politikern ist sie sehr direkt, manchmal bis an die Schmerzgrenze. Dieser Stil dürfte ein Erbe ihrer langjährigen Karriere in den USA sein. Die Arbeitsrechts- und Wettbewerbsexpertin arbeitete bei der internationalen Anwaltskanzlei Baker and McKenzie in Chicago und brachte es hier bis zur Vizepräsidentin. In den USA perfektionierte die heute 54-Jährige ihre Englischkenntnisse, mit denen sich niemand in der französischen Regierung und schon gar nicht der Präsident messen kann.
In die Politik wechselte die zweifache Mutter relativ spät. Noch unter Präsident Jacques Chirac wurde sie 2005 Staatssekretärin für Außenhandel im Wirtschafts- und Finanzministerium, das von März bis November 2004 auch von Sarkozy geleitet worden war. Als dieser im Mai 2007 zum Präsidenten gewählt wurde und die rechte Koalition bei den folgenden Parlamentswahlen die absolute Mehrheit bekam, beförderte Sarkozy die Juristin Lagarde als erste Frau an die Spitze des mächtigen Wirtschafts- und Finanzministeriums. Dass ihr als »Quereinsteigerin« bis dahin schon so mancher verbale Ausrutscher passiert war, der bei anderen Politikern die Karriere in Gefahr gebracht hätte, störte den Präsidenten nicht. Er wusste schon, wofür das manchmal gut sein kann. So bezeichnete Lagarde als Staatssekretärin in einem Interview die französischen Arbeits- und Sozialgesetze als »Beschäftigungsbremse«, was andere rechte Politiker zwar auch denken, aber nicht auszusprechen wagen, um nicht die mächtigen Gewerkschaften zu reizen. Entsprechend scharf war die »Verwarnung« aus dem Elysée.
Doch als Ministerin machte sie in diesem Stil weiter. Im September 2007 schlug Christine Lagarde einen »Sparplan« für den öffentlichen Dienst vor, was, da ebenfalls ein rotes Tuch für die Gewerkschaften, umgehend durch Premier François Fillon dementiert wurde. Weniger gravierend, aber von den Medien bissig kommentiert, war im Herbst 2007 ihre öffentlich vorgetragene Idee, die Franzosen sollten angesichts der rasant steigenden Spritpreise mehr Fahrrad fahren. Richtig ernst wurde es für sie ein Jahr später, als sie inmitten der Finanzkrise einen EU-Hilfsfonds für die europäischen Banken forderte. Das löste scharfe Reaktionen aus Berlin aus und Präsident Nicolas Sarkozy war so erbost über den Alleingang seiner Ministerin, dass diese ihm ihren Rücktritt anbot. Doch dies wäre nach Ansicht des Präsidenten mitten in der Finanzkrise ein falsches Signal gewesen.
Also blieb Christine Lagarde Ministerin, das Verhältnis zum Präsidenten hat letztlich nicht gelitten und ihre Karriereaussichten sind besser denn je. Immer wenn über eine mögliche Ablösung von Premier François Fillon spekuliert wird, fällt unter den denkbaren Nachfolgekandidaten als erstes ihr Name. Doch der 2009 von der »Financial Times« zur »Finanzministerin des Jahres« gekürten Politikerin traut man auch eine Karriere auf internationaler Ebene zu. So war sie auch mal als EU-Kommissarin und als Vorsitzende der Euro-Gruppe im Gespräch.
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