Des »Kunstmalers Ehefrau«?
Eine Entdeckung: Mathilde Vollmoeller-Purrmann im Kunstforum der Berliner Volksbank
Man kennt sie als Frau von Hans Purrmann – »Kunstmalers Ehefrau« war als Berufsbezeichnung in ihrem Pass eingetragen –, man kennt sie auch durch ihren Briefwechsel mit Rilke, aber ihr malerisches Werk ist so gut wie unbekannt geblieben. 1897 war die junge Kunstelevin von Stuttgart nach Berlin übergesiedelt, besuchte hier das Schülerinnenatelier von Sabine Lepsius, einer damals anerkannten Porträtmalerin, und fand auch Zugang zur »Berliner Sezession«. 1906 setzte sie ihre Ausbildung in Paris fort, beschäftigte sich mit Cézanne und Matisse und stellte im Salon d’Automne aus. Mit dem Eintritt in die Académie Matisse 1910 veränderten sich ihre farbliche Palette, ihre Technik und Sujets. Es hieß dann, dass sie nach ihrer Heirat und der Geburt ihrer ersten beiden Kinder auf die Ölmalerei ganz verzichtet und sich nur noch dem Aquarellieren gewidmet habe. Für die Purrmanns war Rom in den 20er Jahren ihr Hauptwohnsitz, sie lebten bis 1935 in Berlin, verbrachten die Sommermonate in ihrem Fischerhaus am Bodensee, bis Hans Purrmann die Leitung der Villa Romana in Florenz übernahm. 1943 starb seine Frau Mathilde. Erst 1999 tauchten aus dem Schweizer Nachlass der Tochter Regina etwa 360 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken, dazu auch zahlreiche Briefe und andere Dokumente auf. Sie konnten von der Stadt Speyer erworben werden und wurden dem dortigen Hans-Purrmann-Haus übergeben. Vor drei Jahren hatte das Berliner Kunstforum das Werk von Hans Purrmann ausgestellt, jetzt macht es sich um die Wiederentdeckung des Werkes von Mathilde Vollmoeller-Purrmann verdient.
Ihre leuchtenden, gebrochen geformten Landschaften faszinieren ebenso wie ihre lichtdurchfluteten Interieurs oder die Stilleben in ihrer geheimnisvollen, stillen, körnigen Farbe. Man hat den Eindruck, als ob sich Gedanken lautlos auf den Gegenständen abgelagert haben. Die Gegenstände saugen das Licht auf und scheinen es nicht mehr herausgeben zu wollen; sie schließen es in die eigene Tektonik ein, verdichten es zu Materie.
In den Gemälden von Mathilde Vollmoeller-Purrmann ist nichts leer – nicht einmal die Flecken unbemalter Leinwand. Diese geordnete Dialektik von Form und Farbe lässt sich wohl auf Cézannes Bemerkung zurückführen, dass »nach der Natur zu malen nicht heißt, das Objekt abzumalen. Es ist die Wahrnehmung der eigenen Empfindungen«. Eine Empfindung wahrzunehmen hieß, ihr eine Syntax zu geben, und in dem Maße, wie die transparenten, fast gegenstandslosen Flächen der späten Arbeiten immer weniger lesbare Illusion sind, wird die Kraft der malerischen Sprache Mathilde Vollmoeller-Purrmanns immer geordneter. Ihr Ziel war Wirklichkeit, nicht Illusion, und dies verfolgte sie mit beharrlichem Ernst. Es war das Eigenleben der Dinge – ihre vom menschlichen Leben unabhängige Existenz –, das die Malerin zu ihren Themen hinzog: die Landschaft von Bansin (1916), die Berliner Stadtlandschaft (um 1928), die Piazza del Popolo in Rom, das Interieur mit Fenster oder die verlassene Parklandschaft in Ischia (alle um 1924-27), die Äpfel, die mehr als Einzelwesen, nicht als Gaumenfreude gesehen werden, die zirpende Stille unter sich wölbenden Pinien. Diese Dinge haben Dauer; die Konflikte des leidenschaftlichen und gleichzeitig gehemmten Charakters Mathildes wurden durch sie abgewehrt und zurechtgerückt.
Ihre späteren Aquarelle sind das Heiterste in ihrem Lebenswerk. Sie haben nicht die massive Ordnung und schwerfällige Konstruktion ihrer vorangegangenen Ölbilder. Wie sollten sie auch: Das Medium erforderte Schnelligkeit, und Mathilde Vollmoeller-Purrmann benutzte es für die ersten Bilder von einem Motiv. Man kann fast sehen, wie die schnell gesetzten Tupfer von transparentem Rot, Gelb und Blau in der mediterranen Hitze auf dem Zeichenblock trockneten; die Sonne fixierte sie, sodass sie sie schnell überarbeiten konnte. Die Wasserfarbe gab ihr die Möglichkeit, Aspekte der Landschaft zu malen, die sie mit einer schwereren Farbe nicht so schnell hätte fixieren können: das verschleierte und irisierende Licht, das weite Leuchten des frühen Morgens, das silbrige Aufschimmern eines Olivenhains, wenn die Blätter abwechselnd ihre dunkle, dann ihre weißlich leuchtende Unterseite zeigen. Farbe und Natur standen ja schon immer in Verbindung, aber hier strebt die Farbe eine Intensität an, die der gewohnte Anblick nicht bot.
Farbe sollte für die Künstlerin ein Zeichen von Vitalität und Sinnbild der Lebensfreude sein, sie bedurfte keiner tiefen symbolischen Untertöne. Genug, wenn die Farbe für die Authentizität des Gefühls zeugte, wenn sie das Empfinden für Energie und Kraft erweiterte und Lebensfreude mitteilte. Die sich schlängelnden Konturen der Bäume, ihr leuchtendes Zinnoberrot, das komplexe Blau in den Schatten und das sprühende Feuerwerk von Grün und Gelb im Blattwerk – das war eine Offensive auf die Sinne. Vergleichen wir Mathildes »Aussicht auf Collioure« (1908/09) mit Matisses »Das offene Fenster. Collioure« (1905), dann mag die Komposition wohl eine andere sein, aber die umgewandelten und gesteigerten Farben stellen doch eine gewisse Identität her. Aber den Weg Matisses in die Abstraktion wie in dessen erstaunlich harten und kühnen »Fenstertür in Collioure« (1914) ist sie nicht mitgegangen. Sie wollte immer wieder die vertrauten Dinge in ihrem Blickfeld überraschen, sie auf merkwürdige Weise beschneiden, sie von unerwarteten Winkeln aus malen und sie in plötzlich aufglänzenden Farbschauern von Rosa, Krapprot, Flieder, Chromgelb, Chromgrün und hellem sonnengesprenkeltem Grün zergehen lassen. So erscheint die Materie auf diesen Bildern halbgeformt und erweckt den Eindruck, als wolle sie sich jeden Augenblick in dem Licht auflösen, aus dem sie gemacht ist.
Eine wirkliche Entdeckung, die Entdeckung einer eigenständigen Malerin, die zur künstlerischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts gerechnet werden kann.
Mathilde Vollmoeller-Purrmann (1876-1943). Berlin – Paris – Berlin. Kunstforum der Berliner Volksbank, Budapester Str. 35, bis 16. Mai. Katalog.
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