Israels Arbeitspartei im freien Fall
Sozialdemokraten sind nur noch ein Schatten einstiger Größe
Eigentlich müsste es mal richtig Krach geben, sagt Jossi Bar-On, 24 Jahre alt und Betriebsrat der Cafékette »Coffee Bean« in Tel Aviv, und fügt resigniert hinzu: »Ich kann's immer noch nicht glauben, dass die Arbeitspartei das alles einfach so hinnimmt, obwohl sie an der Regierung beteiligt ist.«
Das alles – damit meint er die Schieflage in vielen Politikbereichen: beim Friedensprozess mit den Palästinensern, bei den Arbeitnehmerrechten, beim Verhältnis von Säkularen und Religiösen im Land; alles Dinge, die zunehmend im argen liegen. Dabei sind die Sozialdemokraten, also jene Partei, die einst den Staat gründete, seit nunmehr zwölf Jahren mit kurzen Unterbrechungen wieder an der Regierung beteiligt. Dafür, werfen ihr Bar-On und andere Parteimitglieder vor, habe sie ihre Werte vergessen: »Eigentlich sind wir hier in Tel Aviv die Hochburg der Linken, aber selbst in unserem Ortsverband gibt es viele, die jetzt lieber jemand anderen oder gar nicht mehr wählen.«
In Zahlen ausgedrückt sieht das so aus: Momentan würden die Sozialdemokraten von 13 auf nur noch maximal acht der 120 Mandate abrutschen. Je nach Umfrage würden zwischen 60 und 70 Prozent der Parteimitglieder ihre eigene Partei derzeit nicht wählen. Dass die andere linke Partei Israels, Meretz, davon nicht profitiert und weiterhin bei fünf Sitzen bleibt, liegt daran, dass in den Umfragen schon jetzt nach einer Gruppierung gefragt wird, die es noch gar nicht gibt: eine Parteineugründung, die der Journalist Ja'ir Lapid, Sohn des verstorbenen Tommy Lapid, der einst die säkulare Schinui-Bewegung anführte, derzeit erwägt.
Lapid ist jung, bekannt und setzt sich für soziale Reformen, eine Trennung von Religion und Staat und einen Friedensschluss mit den Palästinensern gleichermaßen ein. Ob seine Partei jemals gegründet werden wird, hängt von zwei Faktoren ab: davon, ob die Stimmung in der Bevölkerung weiterhin günstig bleibt; und davon, ob man ihn lässt – denn die Regierungskoalition arbeitet darauf hin, eine einjährige Zwangspause für Journalisten einzuführen, die in die Politik gehen wollen – ein existenzbedrohendes Risiko.
Dass die Arbeitspartei dabei mitmacht, wird von vielen ihrer Mitglieder als Verzweiflungstat gesehen, durch die man sich vor dem drohenden Niedergang zu retten versucht: »Normalerweise müssten wir doch an einem Strang ziehen, um eine Chance auf eine starke linke Regierung zu haben«, sagt Bar-On, der am eigenen Leib erfahren hat, wie stark die »Selbstaufgabe der Partei« schon geht.
Als er vor acht Monaten gemeinsam mit Kollegen die Gründung eines Betriebsrates in Angriff nahm, weil es bei »Coffee Bean« Mitarbeiter gibt, die zehn Stunden am Tag arbeiten und sich dennoch keine eigene Wohnung leisten können, versagte ihnen ausgerechnet die einst mächtige und von der Arbeitspartei dominierte Gewerkschaft Histadruth die Unterstützung. Der Grund: Das Parlament hatte kurz zuvor, mit Zustimmung der Arbeitspartei, ein Gesetz verabschiedet, dass den Einfluss der Gewerkschaft in Franchise-Unternehmen, wie »Coffee Bean« eines ist, auf nahezu null senkt. Gegenrede von Sozialdemokraten und Histadruth hatte es nicht gegeben – ganz im Gegenteil. Immer wieder hatten beide betont, man habe in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage eine »Verantwortung für den Erhalt von Arbeitsplätzen«, so Histadruth-Chef Ofer Eini.
Von Verantwortung ist auch heute noch immer dann die Rede, wenn Vertreter der Arbeitspartei nach der Teilnahme der Partei an der Regierung gefragt werden. »Wir haben in der Regierung die Verantwortung dafür übernommen, unsoziale Initiativen zu blockieren, und tun das auch mit großem Erfolg«, sagt Sozialminister Isaak Herzog, »ohne uns könnte die Rechte machen, was sie will.«
Derzeit befindet sich ein Gesetz in Arbeit, das Gruppen wie »Frieden Jetzt«, die die Rechte immer wieder mit Berichten zum Siedlungsbau nerven, zu politischen Gruppierungen erklärt. Damit wäre der Empfang von Spenden aus dem Ausland deutlich einschränkt – den Gruppen drohte das Aus.
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