Sehnsucht, Weltflucht, Lorbeerkränze

Claus Guth und Sebastian Weigle überzeugen in Frankfurt am Main mit Strauss' »Daphne«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Daphne
Daphne

Man sieht die Dinge, die auf der Bühne passieren, ob man will oder nicht, immer durch die Brille der eigenen Zeit und ihrer Verwerfungen. Ganz gleich, ob sie vom Regisseur oder gar von ihren Autoren so gemeint waren. Der momentan viel diskutierte Missbrauch gehört dazu. In Claus Guths »Daphne«-Inszenie- rung sieht man jetzt die Folgen eines solchen exemplarischen, mythisch überhöhten Falls.

Wenn eine junge Menschenfrau einem Gott in die Hände fällt, dafür ihre Lebensperspektive mit dem jungen Mann, der sie liebt und begehrt, fahren lässt, dann kann man sich das Resultat allenfalls schönreden. Dann ist der Baum, in den diese junge Frau am Ende verwandelt wird, eben der Lorbeer, der den Helden und Siegern die Stirnen kränzt. Für Götter und Bäume mag das eine tolle Geschichte sein. Für jene Daphne ist es im Grunde eine Katastrophe. All das sieht man jetzt in Frankfurt am Main deutlicher als sonst, wenn sich jemand (selten genug) dieser »bukolischen Tragödie« annimmt.

Wohl wissend, dass Richard Strauss kein Mann des Widerstandes gegen die Nazis war, ihnen nicht nur die Hymne für die Olympischen Spiele komponierte, sondern einige Zeit sogar der Reichsmusikkammer vorstand, umweht gerade diesen Frauen-Einakter, der 1938 in Dresden uraufgeführt wurde, auch etwas Widerständiges. Mit ihrem schwebenden Schwelgen hoch über den Erinnerungswolken an »Elektra« und »Rosenkavalier« sehnt sich diese Musik nach einer anderen als der martialisch auf die beginnende Welteroberung zusteuernden Welt, die Strauss in Deutschland umgab.

Sicher kommt seine »Daphne« (zumal ihr Librettist Joseph Gregor dem verstorbenen Hugo von Hofmannsthal und dem verbannten Stefan Zweig nicht einmal annähernd das Wasser reichen konnte) weder an die Überwältigungswucht von »Salome« und »Elektra«, noch an die theatralische Raffinesse des »Rosenkavaliers« heran. Dass sie dennoch mehr ist als ein Schmuckstück für Strauss-Liebhaber, das hat die Frankfurter Inszenierung klargemacht.

Guth erzählt die Geschichte von einem fiktiven Ende her. Da sieht man die alte Daphne, wie sie mit wirrem, grauem Haar und am Stock gehend ein Haus betritt, das einmal sehr pompös gewesen sein muss. Doch das Glas der Aktenschränke ist zerbrochen. Die Stufen, die vom großen Saal aus vielleicht einmal in einen Park geführt haben, sind schon vom Gras überwachsen. Im Abendlicht der Erinnerung beginnt hier alles wieder zu leben. Hier begegnet sie sich selbst. Als unbeschwertes Kind, das die Eltern mit ihrer maßlosen Naturliebe ängstigt und an der Schwelle zum Erwachsenwerden immer noch ihre geheimnisvolle Kammer hinter der Wandverkleidung hat. Die Tür ist mit Vögeln bemalt, der Raum voller Geäst.

Dagegen hat ihr Jugendfreund Leukippos keine Chance. Da kann der kurzbehoste Daniel Behle noch so betörenden Tenorschmelz verströmen. Auch ihrem Vater und dessen merkwürdig aus der Zeit gefallenem dionysischen Kult folgt sie nur widerwillig. Zu Recht, denn dabei hat sie nicht nur das symbolische Opfer in dem Ritual zu spielen, sondern sie wird ganz körperlich und direkt das Objekt der Begierde enthemmter Männlichkeit.

Daphnes Naturliebe und ihre geheime Kammer sind hier der Versuch des Mädchens, dem, was ihr offenbar schon oft geschehen ist, zu entfliehen. Selbst der inkognito auftauchende Gott Apollo ist da nur ein Mann, der Daphne begehrt. Er schaltet seinen Konkurrenten Leukippos gewaltsam aus, verzweifelt dann aber selbst an der Trauer Daphnes über dessen Tod.

Die Verwandlung in einen Lorbeer-Baum, mit dem das Märchen endet, liest Guth also als eine Art Verdrängung, mit der sich Daphne selbst schützt. Doch sie ist von diesen Jugenderlebnissen gezeichnet. Offenbar lebenslang. So jedenfalls erzählen Claus Guth und sein wie immer kongenialer Ausstatter Christian Schmidt die Geschichte. Und sie überzeugen damit (anders als bei manchen ihrer jüngsten Produktionen anderswo) restlos.

Auch die musikalische Seite der Produktion stimmt. Die ist selbst für den in Frankfurt am Main unter Bernd Loebe üblichen hohen Standard außergewöhnlich. Dieser so ausgewogen suggestive Strauss-Klang des Opern- und Museumsorchesters gehört zum Besten, was Sebastian Weigle bislang überhaupt produziert hat.

Die Protagonisten sind als Ensemble ein weiterer Star des Abends. Ob nun die höhensichere Maria Bengtsson (die gerade als Gluck-Armida an der Komischen Oper Berlin Furore machte), die beiden um sie kämpfenden Tenöre (Daniel Behle als Leuikopps und Lance Ryan als Apollo) oder die dunkel leuchtende Tanja Ariane Baumgartner als Gaea und Matthew Best als Daphnes Vater Peneios – hier obwaltet ein glücklicher Stern über dem Ensemble. Nicht nur für Strauss-Fans ist diese »Daphne« eine Empfehlung.

Nächste Vorstellungen am 18., 23. und 25.4.

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