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Weltverzehrende Trauer

A Single Man von Tom Ford

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist schon unfair, wie viel Talent manche Menschen in sich vereinen. Der US-Amerikaner Tom Ford war als Model erfolgreich, brachte das italienische Modehaus Gucci vom defizitären Abgrund zurück an die Spitze, ging mit gerade 44 Jahren in den Vorruhestand, den er nach eigenem Bekunden mehr mit Trinken als mit Golf- und Tennisspielen ausfüllte, langweilte sich – und kam zurück. Als Modeschöpfer auf eigene Rechnung. Und als Regisseur – weil Filme so viel besser altern als Mode. Der Mann ist ein Macher und brauchte einfach eine neue Herausforderung.

Mit Christopher Isherwoods 1964 veröffentlichtem »A Single Man« (deutsch »Der Einzelgänger«), einem historischen Eckpfeiler schwuler Selbstbeschreibung, fand er sie. Er schrieb, er produzierte und steckte, als ein Finanzier wegbrach, ganz viel eigenes Geld in sein Herzensprojekt. Seither gewinnt er Preise für seinen Debütfilm, die meist an Colin Firth gehen, seinen Hauptdarsteller. Der war immer ein attraktiver Schauspieler, aber so gut wie hier war er noch nie. Als George Falconer, britischer Literaturprofessor an einem College in Los Angeles zur Zeit der Kubakrise und glücklicher Lebensgefährte eines schlaksigen, eleganten, lebenslustigen Bücherfreundes (Matthew Goode), hat Firth Gelegenheit, tiefe Zufriedenheit zu projizieren. Und die abgrundtiefste Trauer, die ein Mensch nur fühlen kann.

Die eine gefühlte Ewigkeit lange Szene, in der Falconer auf die Nachricht vom tödlichen Unfall seines Lebensgefährten reagiert, gehört zum Atemberaubendsten, was ein Schauspieler in den letzten Jahren auf der Leinwand zeigte. Man fühlt mit dem Mann, der Figur, dem Darsteller, kann kaum hinsehen auf so viel bodenlosen Schmerz und doch nicht wegsehen, um ja keinen Moment der Schauspielleistung zu verpassen. So hautnah war man selten Zeuge des tragischen Endes einer Liebesgeschichte, einer langjährigen Beziehung. Dass es eine schwule Liebesgeschichte, eine schwule Beziehung war, erweitert die Tragödie um die zeitbedingte Unmöglichkeit jeder öffentlich geäußerten Trauer. Eine wesentliche Voraussetzung für die Tragödie ist es nicht. Was gut passt zu einem Regisseur, der sein Leben seit Jahrzehnten mit einem Mann teilt, aber Wert auf die Feststellung legt, er habe auch heterosexuell geliebt, und nicht auf einen Lebensstil festgelegt werden möchte.

Als der Film einsetzt, hat Falconer den Widerstand gegen die bleierne Leere aufgegeben und bereitet seinen Selbstmord vor, eine Änderung gegenüber dem Buch, die dramatischen Druck aufbauen hilft. Aber wie sich auf dem Bett erschießen, ohne das Bett zu beschmutzen? Der Schuss im Schlafsack scheint die Lösung, wird schließlich aber doch verworfen. Dass Ford die Schlafsack-Idee vom Selbstmord eines Familienmitglieds übernahm, gibt der Szene eine persönliche Ebene. Auch den Glamour-Faktor haben der Regisseur und sein Werk gemeinsam. Wenn man dem Film etwas vorwerfen kann, dann seine bildschöne Oberfläche: ein penibel wohlgekleideter Designer der Regisseur, ein penibel durchgestylter Film sein Erstlingswerk. Aber natürlich ist das Wahren der respektablen Fassade ein ebenso wesentlicher Bestandteil im Leben des George Falconer wie das Äußere des Modeschöpfers sein öffentliches Aushängeschild.

Und die Fassade wird gewahrt, einen ganzen Tag lang. Am College, wo George Falconer ein letztes Mal Aldous Huxley lesen lässt und von Student Kenny (Nicholas Hoult) beäugt wird, der ihm später bis nach Hause folgt. Auf dem Parkplatz, wo ein mexikanischer Immigrant mit James-Dean-Tolle sich ihm eine Zigarettenlänge lang anbietet. Und bei Freundin Charley (Julianne Moore), einer betuchten Scheidungswitwe, die wider besseres Wissen nie müde wird, sich ihm an jedem beschwipsten Abend erneut anzutragen. Gelegentlich bricht die glücklichere Vergangenheit in die blaugraue Schwere dieses letzten Tages ein. Sexuell explizit wie manche von Fords Werbekampagnen wird es nie – hier wird kein Tabu gebrochen, sondern ein Mann bei der Trauerarbeit dargestellt.

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