Landärzte dringend gesucht
Gesundheitsminister will Nachwuchs durch Studienplatzquote sichern
Obwohl seine Praxis an zwei Nachmittagen in der Woche geschlossen bleibt, ist der Landarzt Dr. Holger Domann aus Golßen in der Niederlausitz schwer beschäftigt. Der jugendlich wirkende 49-Jährige steuert einen Geländewagen. Einige Patienten sind nur über Feldwege zu erreichen.
»Es sind ungefähr zehn Hausbesuche wöchentlich. Dabei fahre ich jeden Monat so um die 600 Kilometer.« Domann stoppt seinen Wagen und geht auf den Hof des Patienten zu. Der Hund bellt, als er das Tor zum Grundstück öffnet. Der Sohn des Patienten grüßt. Er ist aufwühlt. »Ich habe Ärger mit meinem Vater.« Ein aufgeregter Wortschwall geht auf den Landarzt nieder. »Er ist sauer, weil ich die Haustür abschließe, wenn ich auswärts zur Arbeit gehe. Aber was ist, wenn mein Vater die steile Treppe zur Haustür herabstürzt? Dann liegt er stundenlang da, wenn ihn keiner findet.«
Dr. Domann beruhigt den Sohn, steigt die ausgetretenen Ziegelstufen zur Haustür hoch und betritt das Zimmer seines betagten Patienten. Ein kurzes Gespräch über den Gesundheitszustand, der Arzt misst den Blutdruck und hört die Brust ab. Ein alter Kachelofen verbreitet wohlige Wärme. Bis auf das moderne Krankenbett scheint in diesem Raum die Zeit stehen geblieben zu sein.
Als die Mauer fiel, war Holger Domann Assistenzarzt in der Kreispoliklinik Senftenberg. Sein Vater war Landarzt im 200 Einwohner zählenden Dorf Lipten bei Calau. »Dadurch weiß ich, dass die Aufgaben unseres Berufes nach der Wende die gleichen geblieben sind: Sprechstunde und Hausbesuche«, erzählt Domann. »Die Geräte und Computer sind besser geworden. Das ist der technische Fortschritt. Was sich verschlechtert hat, ist der bürokratische Aufwand. Dafür brauche ich täglich mindestens eine Stunde neben meiner eigentlichen Tätigkeit. Trotzdem bin ich sehr zufrieden mit meinem Beruf. Er ist vielseitig und spannend.« Das Arbeitspensum des Mediziners liegt bei 60 bis 70 Stunden in der Woche.
Der Sohn des Bauern betritt das Zimmer. »Mein Sohn sperrt mich ein, Herr Doktor. Das ist ganz furchtbar.« Sofort entspinnt sich ein Streit. Jetzt muss der Landarzt schlichten. Er versucht, den Vater davon zu überzeugen, dass der Sohn aus Sorge handelt. »Wenn Sie hinfallen und sich etwas brechen, landen Sie im Pflegeheim.« Nach 30 Minuten verlässt der Doktor den Hof. Er kommt nach Möglichkeit wöchentlich zu seinen Patienten, in dringenden Fällen ist er natürlich schnellstmöglich zur Stelle. »Auf dem Land kennt man den Patienten einfach besser«, sagt er. Seit 1995 arbeitet Holger Domann in Golßen.
Ein Ärztemangel droht in Brandenburgs schon lange. Ende Dezember waren laut Landesärztekammer 8443 Ärzte im Bundesland tätig, 152 mehr als im Vorjahr. Doch das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, denn in naher Zukunft setzen sich viele Ärzte zur Ruhe. Fast 39 Prozent sind älter als 50 Jahre.
»Die Situation ist ernst«, weiß die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg. Sie bietet Anreize, wirbt an Universitäten um Nachwuchs und gewährt bis zu 50 000 Euro Unterstützung bei Beginn einer Tätigkeit in den unterversorgten Regionen Brandenburgs. »Außerdem halten wir Kontakt zu den Kommunen, um sofort auf Versorgungsdefizite zu reagieren«, erläutert Sprecher Ralf Herre.
Dr. Holger Domann ahnt, dass es eng wird: »Drei Mal im Monat mache ich freiwilligen Dienst in der Rettungsstelle im 15 Kilometer entfernten Spreewaldort Lübben. Dort treffe ich Assistenzärzte, den potenziellen Nachwuchs. Die meisten kommen aus Berlin. Eine Stelle als Landarzt in Brandenburg will kaum jemand von ihnen antreten. Sie bleiben lieber in der Stadt. Es ist ihnen hier zu langweilig.« Der Landarzt steuert den Geländewagen auf eine schmale Piste. 15 Kilometern entfernt wohnt eine Patientin und wartet auf seine Hilfe.
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