Brückenbauer zwischen den Kulturen
Integrationsmittler an Schulen beseitigen sprachliche und kulturelle Hemmschwellen
Das Bild ist ungewohnt: Anstelle von Kindern drücken an diesem Vormittag Erwachsene die Schulbank der Tami-Oelfken-Schule, einer Bremer Grundschule. Ganz im Zeichen des kulturellen Miteinanders sitzen kurdische Eltern neben deutschen Lehrerinnen. Für die nächsten drei Stunden steht das familienorientierte Integrationstraining »FIT Eltern« auf dem Programm. Das Bremer Projekt informiert über das deutsche System von Kitas und Schulen und soll die Hoffnungen und Sorgen migrantischer Familien vermitteln.
Die überwiegend weiblichen Zuhörer stammen unter anderem aus Irak und Libanon. Neugierig blickt eine Frau mit einem weißen Kopftuch auf die verschiedenen Spielsachen, die über die Tische verteilt sind – von der Murmelbahn bis zum Gesellschaftsspiel. Während die Kursleiterin Fatma Acar auf Deutsch über die Bedeutung des Spielens für die Entwicklung redet, übersetzt ihr Kollege Bahri Günay das Gesagte ins Kurdische.
Acar und Günay betreiben Integrationsmittlung auf mehreren Ebenen: Durch das Dolmetschen wird der Austausch zwischen den teils kaum Deutsch sprechenden Migranten und den Lehrkräften erleichtert. Und indem die Kursleiter mit den Eltern darüber reden, wie Kinder sich zu starken Persönlichkeiten entwickeln, tragen sie zu einem Stück Integration und Chancengleichheit bei. Acar und Günay können sich gut in die Gedanken der Teilnehmer versetzen, auch sie haben einen türkischen beziehungsweise kurdischen Migrationshintergrund.
»Wir möchten unseren Teilnehmern Kenntnisse vermitteln, sodass sie ihre Kinder noch besser unterstützen können«, sagt Günay, der selbst ausgebildeter Lehrer ist. »Dabei schreiben wir den Eltern nicht vor, was sie zu tun haben. Wir geben lediglich Anregungen.« Zudem solle gezeigt werden: »Integration heißt nicht, dass jemand seinen kulturellen Hintergrund aufgeben muss.« Sprach- und Integrationsmittler, Sprach- und Kulturmittler, Gemeindedolmetscher oder soziale Dolmetscher: Die Namen, mit denen interkulturelle Brückenbauer wie Bahri Günay bezeichnet werden, sind fast ebenso vielfältig wie deren Einsatzmöglichkeiten. Sie arbeiten in Arztpraxen und Kliniken, ebenso in Schulen, Kitas, Beratungsstellen oder Behörden. Oft auch an Orten, wo etliche Fachbegriffe schnell den Wortschatz vieler Migranten überfordern. Trotz ihrer Übersetzungshilfe unterscheiden sich diese Mittler von herkömmlichen Dolmetschern. Während Letztere allein auf sprachlicher Ebene vermitteln, beugen jene Sprach- und Integrationsmittler kulturell bedingten Missverständnissen vor.
Ahmed Abd-Elsalam, Koordinator eines Kulturmittler-Projektes der Deutschen Angestellten-Akademie Halle (Saale), nennt ein Beispiel: Zur Begrüßung gibt ein Arzt einer Patientin aus dem nahöstlichen Kulturkreis die Hand. Doch die Frau erwidert die Geste nicht. Was der Mediziner für Unfreundlichkeit halten könnte, gilt im Kulturkreis der Patientin als Ausdruck von Respekt. Verfügen Sprach- und Integrationsmittler selbst über den entsprechenden Migrationshintergrund, können sie derartige Fehldeutungen schnell erkennen.
Anders als in der Schweiz gebe es in Deutschland bislang kein anerkanntes Berufsbild »Sprach- und Integrationsmittler«, so Anke Settelmeyer vom Bonner Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Daher lägen keine Zahlen vor, wie viele Personen eine entsprechende Aus- oder Weiterbildung durchlaufen haben. Bekannt ist hingegen die Zahl der Einwohner Deutschlands mit Migrationshintergrund: Im Jahr 2008 waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 15,6 Millionen Menschen. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 19 Prozent. Allerdings profitieren nicht nur Migranten und Flüchtlinge von der Arbeit eines Sprach- und Integrationsmittlers, stellt die Leiterin des Gemeindedolmetschdienstes Berlin, Sabine Oldag, klar: »Es profitiert unser ganzes Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem.« Durch die sprachliche und kulturelle Vermittlung »spart man auch auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft Zeit und Geld.« Allein in Berlin gebe es mehr als 100 Sprach- und Integrationsmittler, weiß Oldag. Das Projekt »Gemeindedolmetschdienst« besteht seit 2003. »Wir bieten 49 Sprachen mit Dialekten an«, sagt Oldag. Am häufigsten werde Türkisch angefragt, danach folgten Arabisch und Russisch.
Bezüglich der Ausbildung eines durchgehenden Qualitätsstandards jener Dienstleistung sei Deutschland noch ein Entwicklungsland, meint Achim Pohlmann, Leiter der Migrationsdienste der Diakonie Wuppertal. Nachbarländer wie Großbritannien, Belgien oder die Niederlande seien da teils zehn Jahre weiter. Pohlmanns Erklärung für diesen Rückstand: »Jahrelang ist in Deutschland Einwanderung verleugnet worden.« Zwar setze ein allmähliches Umdenken ein, wie etwa das Aufstellen des Nationalen Integrationsplans gezeigt hätte. Dennoch glaubten viele, dass Deutschland nach wie vor noch eine geschlossene Gesellschaft sei. Zwar seien mittlerweile fast überall im Bundesgebiet »Sprach- und Kulturmittler« im weitesten Sinne unterwegs, jedoch fast immer unentgeltlich. Professionelle Angebote seien hingegen in Deutschland noch sehr selten. Das gelte vor allem für den ländlichen Raum.
Um einheitliche Qualitätsstandards und damit mehr Transparenz zu schaffen, haben sich verschiedene Projektträger zu einer bundesweiten Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, zu der auch die Migrationsdienste der Diakonie Wuppertal gehören. Das gemeinsame Ziel: Die Schaffung eines eigenständigen Berufsbildes, das den Begriff »Sprach- und Integrationsmittler« genau festlegt. Nach jener angestrebten Definition durchläuft ein Sprach- und Integrationsmittler unter anderem eine 18-monatige Schulungszeit, die sich aus Theorie- und Praktikumsteilen zusammensetzt und mit einer Prüfung abgeschlossen wird. Ein derartiger Standard bietet laut Pohlmann verschiedene Vorteile: »Der Abnehmer kann einschätzen: Wen habe ich vor mir, was kann er leisten und wozu kann ich ihn einsetzen.« Auch sei eine tarifliche Eingruppierung der Dienstleistung nötig: »Wir müssen zu einer staatlichen Anerkennung dieses Berufsbildes kommen, um eine bundeseinheitliche Bezahlung geregelt zu bekommen.« Langfristig sieht Pohlmann einen Markt für viele fest angestellte Sprach- und Integrationsmittler: Schließlich müssten noch viele Hilfssysteme für den Migrationsbereich geöffnet werden, von der Verbraucherberatung bis zur Jugendhilfe. Da seien Sprach- und Integrationsmittler als Brückenbauer unerlässlich.
Doch auch der allgemeinere Ansatz der Integrationsmittlung zeigt Erfolg. Zumindest an der Tami-Oelfken-Schule, wo mehr als 70 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben. Dort läuft das familienorientierte Integrationstraining seit rund zwei Jahren. Das Programm habe bereits Erfolge gezeigt, meint die stellvertretende Schulleiterin Christa Allen: »Eltern sind ein wichtiger Teil unseres Schullebens. Hatten wir früher große Schwierigkeiten, diese in die Schule zu holen, geht das jetzt etwas einfacher.« Dadurch steige letztlich »auch die Verbindlichkeit dessen, was in der Schule gefordert wird«. Zudem würden seitdem mehr Schüler mit Migrationshintergrund an Klassenfahrten teilnehmen.
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