»Wir erwarten deutliche Worte«
Auf dem Attac-Bankentribunal werden Ursachen und Folgen der Finanzkrise erörtert / Für Attac ist die Aufarbeitung der Krisenursachen eine Voraussetzung für eine Kurskorrektur
ND: Sie klagen Gerhard Schröder, Angela Merkel und Josef Ackermann an. Was haben die drei verbrochen?
Sundermann: Im Attac-Bankentribunal wollen wir aufarbeiten, wie es zur Finanzkrise kam und was seitdem geschieht. Politische und ökonomische Weichenstellungen der drei Genannten haben maßgeblich zur Finanzkrise beigetragen. Eine der wichtigsten Ursachen für die Finanzkrise ist die massive Umverteilung in die Taschen von wenigen sehr Wohlhabenden. Besonders riskante Spekulationen und Finanzmarkttransaktionen wurden ermöglicht und waren für Reiche attraktiv, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrem vielen Geld.
Die Verhandlung wird am Samstagvormittag in der Berliner Volksbühne beginnen. Kann man sich den Ablauf wie eine Gerichtsverhandlung vorstellen?
Große Teile des Tribunals erinnern tatsächlich an einen Gerichtsprozess. Wir starten mit der Anklage gegen den ehemaligen Bundeskanzler Schröder. Dort wird erörtert, wie es zu der Krise kommen konnte. Schröders Arbeitsmarkt- und Steuerreform haben die Umverteilung vorangetrieben. Seine Gesetzesvorhaben haben die Hedge-Fonds und Zweckgesellschaften befördert, die ganz zentrale Krisenauslöser waren. Im Anschluss geht es um die große Koalition und um die Rolle von Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, der es verstand, Schrottpapiere zu verkaufen, auf deren Kursverfall zu spekulieren und dann indirekt Rettungsmilliarden zu kassieren. Wir werden einen Blick auf die Rolle des Hans Tietmeyer werfen, der eine schillernde Figur in der internationalen Finanzbranche ist und gleichzeitig als Kurator der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft auch noch Werbung für die neoliberale Idee macht. Ein Richtergremium wird sehr gut zuhören und am Ende zu einem Urteil kommen.
Es werden auch Zeugen und Sachverständige gehört. Was werden diese über die Folgen der Krise für die Menschen auf der südlichen Erdhalbkugel aussagen?
Was die Zeugen genau sagen werden, wissen wir jetzt noch nicht. Zum internationalen Aspekt wird es Beiträge von Journalisten und Wissenschaftlern geben. Und aus Kenia kommt die Menschenrechtsaktivistin Wangui Mbatia, die über die Auswirkungen der Krise sprechen wird, die massiv in den Ländern des Südens angekommen ist. Obwohl diese Länder nicht im internationalen Finanzcasino mitgezockt haben, geht es den Menschen dort am dreckigsten.
In der Volksbühne wird in der Regel Theater gespielt. Was unterscheidet Ihre Veranstaltung von einem Theaterstück?
Unsere Veranstaltung ist kein Theater. Wir wollen ein politisches Signal setzen, wie es auch anderen Tribunalen in der Vergangenheit gelungen ist. Den Ort der Volksbühne haben wir gewählt, weil wir ihn sehr schön finden. Außerdem bieten wir ein kulturelles Rahmenprogramm: Am Freitagabend geht unsere Veranstaltung mit einem bissig-bösen Kabarett los.
In der Anklageschrift wird nur die Form der Bankenrettung kritisiert. Keiner der Vorgeladenen ist angeklagt, weil er eine Bank gerettet hat statt sie in die Insolvenz zu überführen. Warum fehlt dieser Anklagepunkt?
Aufgrund geheim gehaltener Informationen fiel es uns schwer, zu klären, ob es beispielsweise zur Rettung der Hypo Real Estate eine Alternative gegeben hätte. Wenn aber Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, dass es nie wieder vorkommen dürfe, dass Banken solch eine Macht erlangen, dass sie den Staat erpressen können und dann nicht handelt, bietet das einen Ansatzpunkt für eine Anklage.
Für den Fall, dass die Angeklagten verurteilt werden: Gibt es schon Ideen, wie das Urteil vollstreckt werden kann?
Wir sind keine Exekutive, haben keine Polizei. Wir können Josef Ackermanns Gehalt nicht auf das Niveau eines Hartz-IV-Empfängers kürzen und Angela Merkel nicht zu einer bestimmten Gesetzesänderung verurteilen. Wir haben aber ein unabhängiges Gremium von Richterinnen und Richtern, die deutliche Worte finden können zu Schuld und Verantwortung im Zusammenhang der Finanzkrise.
Fragen: Niels Seibert
Russell-Tribunal
Das Bankentribunal steht in der Tradition des Tribunals des britischen Philosophen Bertrand Russell, der 1966 das »Vietnam War Crimes Tribunal« initiierte. Es untersuchte und dokumentierte US-amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam. Auf den beiden Sitzungen in Schweden und Dänemark im Jahr 1967 sprachen über 30 Personen, darunter Angehörige des US-Militärs. Zum Abschluss wurden die USA für schuldig befunden, Verbrechen gegen den Frieden begangen und internationales Rechts gebrochen zu haben. Weitere Staaten wurden wegen Komplizenschaft für schuldig erklärt. Die Veranstaltung erhielt internationale Aufmerksamkeit.
In den darauf folgenden Jahren gab es weitere Russell-Tribunale, auf denen Rechtsverstöße von Staaten verhandelt und einer öffentlichen Kritik unterzogen wurden. Das zweite internationale Russell-Tribunal beschäftigte sich Mitte der 1970er mit der »Unterdrückung in Brasilien, Chile und Lateinamerika«. Im Jahr 1978 fand das Russell-Tribunal in Deutschland statt. Es stand unter dem Titel »Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik«. Berufsverbote, die Einschränkung von Verteidigerrechten in Strafprozessen und die Isolationshaft gegen politische Gefangenen wurden als Verletzung der Menschenrechte gewertet. nis
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