Werbung

Dann ist das Theater zu!

André Bücker, Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau-Roßlau, über Zivilisation, sterbende Landstriche und das Flicken von Schlaglöchern

  • Lesedauer: 7 Min.
ND: Herr Bücker, Stadttheater ist ...?
Brücker: ... Mittelpunkt des städtischen Lebens. Hier in Dessau-Roßlau sogar schon in sehr langer Tradition: Unsere Philharmonie ist 243 alt, das Theater selbst befindet sich in der 215. Spielzeit. Also: Wir reden nicht über irgendetwas!

Wir reden aus einem ernsten Grund: Noch wird das Anhaltische Theater jährlich mit 15 Millionen Euro gefördert, von Stadt und Land etwa zu gleichen Teilen. Die Stadt muss sparen und will die Förderung ab 2013 halbieren. Was würde das bedeuten?
Es würde bedeuten, dass auch das Land Sachsen-Anhalt seine Förderung halbiert. Dies wiederum würde bedeuten, dass wir pro Jahr sieben bis acht Millionen Euro weniger zur Verfügung hätten. Ein Ensemble- und ein Vier-Sparten-Theater, wir wir es heute haben, wäre dann nicht mehr möglich. Wir könnten keine Haustarife mehr zahlen, müssten zig Leute entlassen. Die Eigeneinnahmen, die wir heute noch erwirtschaften – immerhin begrüßen wir pro Jahr 200 000 Besucher –, würden dramatisch sinken. Da muss man dann nicht mehr darüber nachdenken, ob man eventuell eine Sparte schließt. Dann ist das Theater zu!

In diesem Jahr wurde der Welttheatertag am 27. März in Deutschland auch als Protesttag begangen: In Wuppertal, wo das Stadttheater ebenfalls existenziell bedroht ist, erhoben etwa 60 Theater die Stimmen. Dessau-Roßlau war dabei.
Wir waren mit einem Auszug aus dem Stücke »Milarepa« von Érik-Emmanuel Schmitt, inszeniert von Andrea Moses, vertreten. Mit einem Monolog über das Ertragen und einem Wut-Monolog: Ein Mann muss Geschichten wieder und wieder erzählen. Somit tut er letztlich das, was die originäre Aufgabe von Theater ist: Geschichten immer wieder erzählen, sie an die nächste Generation weitergeben, sie im kollektiven Gedächtnis behalten, sie pflegen und weiterdenken. Wir fanden: Das passt in Wuppertal.

Wie war Ihr Gefühl?
Ich selbst war nicht dabei. Aber Andrea Moses erzählte, es sei eine tolle Atmosphäre gewesen. Ich kenne solche Veranstaltungen. Das Gefühl schwankt zwischen Euphorie und Melancholie. Natürlich hofft man, noch etwas abwenden zu können. Zugleich fürchtet man, dass die Entscheidung nicht in der eigenen Hand liegt. Man darf aber festhalten: Noch nie hat es in Deutschland eine solche Veranstaltung mit so vielen Beteiligten, mit so vielen Theatern gegeben.

Nie zuvor waren Stadttheater so bedroht, Kommunen so in die Enge getrieben?
Jetzt ist die Krise massiv da. Die Kommunen sind am Ende, sie bluten aus. Das Problem besteht darin, dass der Bund alles dafür tut, diese Entwicklung voranzutreiben – ich sage nur »Wachstumsbeschleunigungsgesetz«. Dabei sind es die Kommunen, die in der Fläche die wahren Träger des kulturellen Lebens sind, und bisher schultern sie die Hauptlast. Aber sie werden sozusagen stranguliert und können ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen. Kommunale Selbstverwaltung ist nur noch ein Popanz. Was es brauchte, ist ein Solidarpakt, um Kulturhilfefonds einzurichten oder ein Entschuldungsprogramm für die Kommunen aufzulegen.

Woher soll das Geld kommen?
Ja, wo kommt es denn bei den Banken her? Allein die 3,6 Milliarden, die der Freistaat Bayern in seine Landesbank gepumpt hat, würden alle Theater Deutschlands für zwei Jahre finanzieren. Geld scheint doch da zu sein. Die Frage ist, wofür man es ausgibt. Abwrackprämie, Geschenke für Hotels und die 15 Milliarden, die benötigt werden, um die Schlaglöcher zu befüllen, welche der Winter gerissen hat, die werden wir auch noch irgendwo auftreiben. Da bin ich ganz sicher. Aber interessanterweise wird dann versucht, kommunale Haushalte zu sanieren, indem man den Menschen vor Ort die Kultur kaputtschlägt. Mit Zivilisation hat das nichts zu tun.

Lassen Sie uns auf die spezielle Situation in Dessau-Roßlau zurückkommen: Eingangs sprachen Sie vom Theater als kulturellem Mittelpunkt städtischen Lebens. Wie sieht das bei Ihnen konkret aus?
Unser Theater ist Ort der Diskussion, der ästhetischen Auseinandersetzung, ein politischer Ort, Ort der Selbstvergewisserung einer Stadt, also ein Ort, wo sich städtische Identität manifestiert. Es ist ein Bildungsort mit weitverzweigten Aktivitäten und Programmen – ob für Kinder, Jugendliche oder Senioren.

Bleiben wir bei der Bildung.
Zunächst erreichen wir Tausende von Schülern über unsere Aufführungen, auch via Schülertickets. Auf dem Spielplan stehen zum Beispiel »Der Kick« von Andres Veiel und Gesine Schmidt, jenes Dokumentarstück nach dem Fall in Potzlow, wo drei Jugendliche bestialisch ihren Kumpel umbrachten, und die Monooper »Das Tagebuch der Anne Frank«. Für die kleineren Kinder haben wir eine Kinderoper im Programm und für die ganz Kleinen Veranstaltungen mit dem Puppentheater oder Konzerte – musikalische Schnitzeljagden, Kuscheltier-Konzerte.
Wir erreichen Kinder und Jugendliche aber auch über die musikalische Früherziehung. Unsere Orchestermusiker gehen in Schulklassen, vermitteln ihnen den ersten Kontakt mit Instrumenten, sind als Lehrer in den Musikschulen tätig. Wenn es das Theater nicht mehr gäbe, blieben auch die Orchestermusiker nicht hier, die Musikschulen hätten keine Lehrer mehr.

Bisher wendet die Stadt noch 12,5 Prozent ihres Haushalts für Kultur auf – im Bundesvergleich ist das überdurchschnittlich viel.
Das liegt daran, dass es hier überdurchschnittlich viel Kultur gibt, die gepflegt, erhalten und vielleicht auch entwickelt werden will. Das kostet natürlich viel Geld. Aber dieser kulturelle Reichtum ist doch kein Problem, sondern eigentlich etwas Fantastisches. Und ich bin überzeugt, die einzige Möglichkeit dieser Kommune, sich für die Zukunft aufzustellen, besteht darin, auf ihre Ressourcen zu setzen. Und das ist nun mal die Kultur: Dessau-Roßlau hat nicht nur ein altes Stadttheater, UNESCO-Welterbestätten wie das Bauhaus und das Dessau-Wörlitzer-Gartenreich, es hat nicht nur das Kurt-Weill-Fest, sondern Bibliotheken, Sportvereine – das alles gehört dazu.

Nun sieht der städtische Sparplan vor, ab 2013 nicht nur die Theatermittel zu kürzen, sondern insgesamt 13,5 Millionen aus dem Haushalt zu streichen – die Folgen würden vom Stellenabbau in der Verwaltung bis zur Schließung von Kultureinrichtungen und Sportstätten reichen. Sie sehen Schwarz für die Region?

Es steht mehr auf dem Spiel als ein traditionsreiches Theater, viel mehr. Es geht um eine Infrastruktur, die es Menschen möglich macht, hier zu leben und leben zu wollen. Wenn man diese Politik fortsetzt, alles Mögliche zu subventionieren, nur nicht die Kultur im weitesten Sinne, dann gibt man ganze Landstriche auf.

Dessau zählt heute noch 88 000 Einwohner, seit 1989 sind mehr als ein Viertel seiner Bürger abgewandert. Das reiche kulturelle Angebot hat sie nicht halten können – sie brauchten Arbeit.
Richtig, Menschen gehen weg, wenn sie keine Arbeit und keine Lebensperspektive haben. Aber es werden noch mehr weggehen, wenn die Kultur dicht macht. Und dann wird sich hier auch keiner mehr ansiedeln, auch keine Industrie. Aber gut, das wäre zumindest eine Entscheidung. Man könnte sagen: Wir sehen jetzt schon keine Zukunft mehr, wir flicken keine Schlaglöcher mehr, machen das Theater zu und nehmen in Kauf, dass Dessau-Roßlau und die Region Anhalt in den nächsten 30 Jahren noch mal 25 000 Einwohner verlieren. Wir geben den Landstrich auf. Und die, die noch hier wohnen, können hier sterben oder weggehen. Das könnte man ja sagen. Was aber nicht mehr geht, auch das wird jetzt deutlich, ist dieses Durchgewurschtel. Man kann nicht mehr sagen: Wir schaffen das schon irgendwie.

Gestern war ich auf dem Junkers-Gelände. Ein fantastisches bauhistorisches Erbe! Dazu kommt die Technikgeschichte – Anfang 20. Jahrhundert, technischer Aufbruch, Innovation, Wissenschaft, Forschung, Moderne. Das Gelände ist verrottet. Jetzt, da es wahrscheinlich kaum noch zu retten ist, will man es abreißen – mit der Begründung, dort eventuell Firmen anzusiedeln. Das ist zutiefst lächerlich. Es gibt genug freiliegende Industrie- oder Gewerbeflächen in Dessau. Aber nach der Wende hätte man Betriebe, die man rund um Dessau auf der grünen Wiese untergebracht hat, forschungs- und wissenschaftsstandortmäßig auf dem Junkers-Gelände konzentrieren, einen Traditionsstandort entwickeln können. Das ist nicht passiert. Und plötzlich ist eine Stadt wie Magdeburg, die in dieser Hinsicht überhaupt keine Tradition hat, Stadt der Wissenschaft.

Vielleicht hatten die Stadtväter nach der Wende andere Sorgen?
Zwanzig Jahre danach sollte man klüger geworden sein. Sehen Sie, wir haben zwar das Bauhaus, die Hochschule Anhalt und das Umweltbundesamt in der Stadt, große Einrichtungen mit vielen Mitarbeitern, aber die wenigsten davon wohnen auch hier: Berlin ist nicht weit weg. Und Dessau ist eben auf den ersten Blick nicht die attraktivste Stadt.

Sie selbst wohnen in Dessau-Roßlau?
Ja. Ich lebe und arbeite gern hier. Auch deshalb, weil ich hier Partner habe. Philipp Oswalt hat ja als Direktor des Bauhauses angefangen und Michael Kaufmann als Intendant des Kurt-Weill-Festes. Wir sind ein gutes Gespann. Gemeinsam versuchen wir, den Zusammenhang von Kultur und Lebensqualität stärker ins Bewusstsein der Stadt zu rücken. Und seit die Bürgerinitiative »Land braucht Stadt« entstand, wird die Thematik auch aktiver und kontroverser diskutiert.

Interview: Christina Matte
André Bücker wurde 1969 in Harderberg (Niedersachsen) geboren. Er studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Geschichte und Philosophie in Bochum. Nach mehreren Regieassistenzen und eigenen Inszenierungen war er von 1998 bis 2000 Hausregisseur, leitender Dramaturg und Stellvertreter des Intendanten an der Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven, später freier Regisseur. 2005 wurde er Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters Halberstadt/Quedlinburg, 2009 Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau.
André Bücker wurde 1969 in Harderberg (Niedersachsen) geboren. Er studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Geschichte und Philosophie in Bochum. Nach mehreren Regieassistenzen und eigenen Inszenierungen war er von 1998 bis 2000 Hausregisseur, leitender Dramaturg und Stellvertreter des Intendanten an der Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven, später freier Regisseur. 2005 wurde er Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters Halberstadt/Quedlinburg, 2009 Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau.
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.