Fülle des Möglichen

Klaus Drechsler in der Dresdner Villa Eschebach

  • Sebastian Hennig
  • Lesedauer: 4 Min.
»Wachwitzer Winterbild«, 1998
»Wachwitzer Winterbild«, 1998

Auf drei Stockwerken ist in der Villa Eschebach am Albertplatz in Dresden das Werk von Klaus Drechsler zu sehen. Das prunkvolle Gründerzeitgebäude wurde im Inneren in einen Bürotrakt verwandelt, in dessen Foyers die Dresdner Volksbank seit 1997 Kunstausstellungen durchführt. Im Erdgeschoss begegnet man zuerst der Königsdisziplin der Ölmalerei, beginnend rechts und links des Eingangs mit frühen Arbeiten, darunter ein Porträt des verstorbenen Malerfreundes Horst Leifer von 1967 und als frühestes Bild »Lastkähne und Boote« (1958). Bereits dieses Bild lässt die Neigung erkennen, aus dem Gegenständlichen eine Ordnung von gelegentlich fast geometrischen Formen abzuleiten, die, mal mehr, mal weniger spannungsvoll, das Motiv in ihrem Gerüst halten. Die behutsame Tonwertmalerei der früheren Arbeiten hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer schwärenden Glut gesteigert. Die »Essende alte Frau« von 1985 steht ganz in einem verbindenden, zusammenfassenden Licht, dass ihre vegetative Existenz betont. Eine Fassung des Bildes war auf der letzten Kunstausstellung 1989 in Dresden zu sehen. Die folgende Etage ist den Aquarellen und deren technisch raffinierten Abwandlungen in großformatigen Algrafien vorbehalten. Ganz oben sind vorwiegend Zeichnungen zu sehen.

Fast aufreizend wirkt die Genügsamkeit der Motivwelt dieser Malerei. Trotzig und provokant war es wohl, nicht den neuen Menschen als selbstbewussten Lotsen in die frohe Zukunft zu zeigen, sondern in den untilgbaren Spuren der Notdurft und Vergänglichkeit nach pittoresken Qualitäten zu forschen. Spiegeleier, die kostbar aus dem schwarzen Rund der Eisenpfanne leuchten, erinnern an »Die magere und die fette Mahlzeit«, 1731 von Jean Siméon Chardin auf Kupfertafeln gemalte Genreszenen. Bereits Velásquez malte 1618 eine »Alte Frau beim Eier braten«. Annibale Carraccis »Bohnenesser« von 1584 berührt sich mit der essenden Alten im Erdgeschoss.

Als die Apotheosen der Hochrenaissance in eine ästhetische Krise führten, haben diese Maler mit dem genauen Blick auf die Schäbigkeit des tatsächlichen Lebens eine Erneuerung bewirkt. Für eine ähnliche Haltung fünfhundert Jahre danach hat der Kunsthistoriker Diether Schmidt den Begriff vom »Neuen Intimismus« geprägt. Gemeint hat er eine künstlerische Haltung, die auf dem Vorhandensein unspektakulärer Gegebenheiten bestand und sich zugleich den Pathosformeln des gesellschaftlichen Aufschwungs verweigerte. Unter anderen Künstlern erwähnte er oft auch Klaus Drechsler als einen Bürgen dieser künstlerischen Haltung: »Ihr gemeinsames Charakteristikum ist die bescheidene Zurücknahme des Künstlers in seinem Urteil über das Erlebte, das Angebot an den Betrachter, wie der Künstler den Erscheinungen im Vertrauen auf die eigenen Sinne zu begegnen und sich ihnen schauend hinzugeben, um sie zu belauschen und behutsam zur Selbstoffenbarung zu verleiten ... Zweifellos ist es eine verinnerlichte Romantik aus der Bedingtheit einer im Kalten Krieg, im toten Winkel der Konflikte genutzten machtgeschützen Innerlichkeit.«

In großen Federzeichnungen nimmt Drechsler über die Literatur den Anlauf zum Weltbild. Er verfängt sich im Gespinst der Linien und mündet in sarkastischen Kommentaren der Tuschfeder, die freilich an sich sehr reizvoll sind. Wo die gepflegte bildnerische Sprache keine Entsprechung außerhalb der Kunstsphäre mehr findet, kündet das Kunstwerk nur noch von der Gestimmtheit seines Autors.

In monumental und dekorativ angelegten Kompositionen versucht Drechsler, die Fülle des malerisch Möglichen im Stillleben zu fassen. Die frugale Kost wird durch asiatische Masken und Kürbisse um üppigere Formen und Farben bereichert. Die Dorf- und Hauslandschaften zeigen Monumente einer lange gültigen Lebensform im Status ihres unüberschaubaren langsamen Unterganges. Über die maroden Mauern aber streicht das Licht einer ganz gegenwärtigen Sonne, so auf dem »Wachwitzer Winterbild« (1998). Ein Symbol für dieses Aufscheinen der Lebenskraft im Abschied ist das »Große Rhabarberblatt« (2009), in dem sich der rotviolette Stiel in die Adern des gelborangen Blattes verzweigt, dessen Fraßlöcher den Hintergrund durchscheinen lassen.

Von den Greisen-Porträts der achtziger und neunziger Jahre zu der »Verwirrten Frau am Fenster« (Holzschnitt, 2008) verwandelt sich die Empfindung einer müden Lähmung in flackernden Irrsinn: das Fazit eines Malers aus den gesellschaftlichen Verschiebungen der letzten Jahrzehnte. Die frontale Zurschaustellung des Schmerzensmannes auf den Monotypien von 2009 »Schweißtuch« und »Kreuzigung (III)« folgt verallgemeinernd aus den Aquarellen »Verwirrte Frau« und »Wahnsinniger Mann« (beide 2007).

Am 22. Mai eröffnet im Stadtmuseum Pirna eine weitere Ausstellung mit Werken von Klaus Drechsler und später im Sommer in der Kunstsammlung Lausitz im Schloss Senftenberg.

»Aus Jahrzehnten« – Malerei und Graphik von Klaus Drechsler, bis 30. April in der Villa Eschebach – Dresdner Volksbank Raiffeisenbank eG, Mo/Mi 8.30-16, Di/Do 8.30-18, Fr 8.30-13 Uhr

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