Aschewolke über Konjunkturpflänzchen
Wirtschaft befürchtet Milliardenverluste wegen Sperrung des Luftraums
Erdbeeren zu Weihnachten müssen nicht sein. Aber wenn viele Obst- und Gemüsesteigen bei anhaltendem Flugverbot in Europa in den nächsten Tagen leer bleiben, wird jeder Verbraucher zu spüren bekommen, was da so alles durch die Luft herbeigeflogen kommt. Frischer Brokkoli, Bohnen oder Erbsen aus Übersee oder frischer Fisch können nicht mehr zum Kunden gelangen, seit an den meisten europäischen Flughäfen die Pisten versperrt sind.
Schon lässt die Lufthansa-Tochter Brussels Airlines in Brüssel verderbliche Ware von Spezialfirmen vernichten, weil sie die Kunden in Skandinavien und der Schweiz nicht mehr erreichen kann. Ohne Versorgung aus der Luft »wird sich das Angebot von importierten Frischwaren in den Supermärkten in den kommenden Tagen merklich ausdünnen«, sagte Vertriebschef Guy Hardy.
Leidtragende der Luftraumsperre sind natürlich zunächst einmal die Fluggesellschaften, die wegen des entgangenen Geschäfts mit Passagieren wie mit Warentransporten nach Angaben des Branchenverbandes IATA täglich 180 Millionen Euro Umsatz abhaken müssen. Dass auch Flughafenbetreiber, die Postdienste, die auf den nächtlichen Brief- und Pakettransport per Air Mail setzen, und die Reiseveranstalter das Flugverbot verfluchen, liegt auf der Hand. Allein Europas größten Reiseveranstalter TUI Travel haben die Flugausfälle bisher 22 Millionen Euro gekostet.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schätzt die Schäden, die durch solche auch indirekten Folgen der Unterbrechung des Flugverkehrs entstehen, auf etwa eine Milliarde Euro pro Tag. Für die exportabhängige deutsche Wirtschaft ist ein brennendes Problem entstanden, das sich in den Geschäftsbüchern durchaus in roten Zahlen niederschlagen kann. Laut Expertenmeinung ist die gesamte Ersatzteil-Logistik vom Flugzeug abhängig. Ein Andauern des Flugverbots könne »der Konjunkturerholung einen gehörigen Dämpfer verpassen«, sagte DIHK-Chefvolkswirt Jürgen Treier dem »Handelsblatt«. Ein zwei Wochen langes Flugverbot könne bis zu einem halben Prozentpunkt Wachstum kosten. Rund 40 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Industrieangaben per Flugzeug ins Ausland.
Bei solchen Perspektiven wachsen die Zweifel, ob die Luftraumsperre unbedingt aufrecht erhalten werden muss. Aus verständlichen Gründen machte sich auch hier die Luftfahrtbranche zum Vorreiter. IATA-Chef Giovanni Bisignani warf den europäischen Regierungen eine unangemessene Reaktion vor. Die Entscheidungen zur Schließung der Flughäfen basiere lediglich auf theoretischen Modellen und nicht auf Fakten.
In Deutschland eskalierte der Konflikt zum Krach. Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber sieht durch die Wolke keine ernste Bedrohung für den Flugverkehr. Die Testflüge der Lufthansa hätten alle keine Schäden an den Maschinen gezeigt. »Es wäre zynisch und mit mir auch politisch nicht zu machen, wenn man Umsatzeinbrüche gegen Sicherheit aufrechnet«, konterte Verkehrsminister Peter Ramsauer. Warum allerdings erst am Montag ein Messflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zur Klärung des Sachverhalts aufsteigen konnte, wusste auch der CSU-Politiker nicht so recht zu erklären.
Am Montagnachmittag traf sich erstmals eine von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) einberufene Taskforce. Es sei nötig, »sofort miteinander zu sprechen, Notlösungen zu organisieren, alle verfügbaren Informationen in die Überlegungen mit einzubeziehen«, erklärte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel.
Natürlich gibt es auch Gewinner der Situation. Bahngesellschaften, Busunternehmer, Autoverleiher, Mitfahrzentralen und selbst die Mobilfunkgesellschaften freuten sich ebenso über sprunghaft steigende Umsätze wie die Anbieter von Videokonferenzen für Geschäftsleute im Internet.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.