Milizen als Exekutor westlicher Interessen
USA sorgen vor in Afghanistan – und Deutschland beteiligt sich daran
Kurzfristig greift die neue Strategie Obamas, an die auch die Deutschen in Afghanistan gebunden sind: Ausweitung der Außeneinsätze zur Sicherung der großen Städte, verbunden mit vermehrter Entwicklungshilfe in diesen Sicherungsgebieten. Zusätzlich sollen kurzfristig Afghanistans Armee und Polizei auf über 240 000 Mann gebracht werden. Gemäß dieser Strategie müssen sich vor allem die deutschen Truppen auf vermehrten Feindkontakt einstellen – und das bedeutet: mehr Tote als bisher, die beiden letzten Zwischenfälle waren erst der Anfang einer Serie. Der Rückzug der NATO auf größere Siedlungsgebiete gibt im Umkehrschluss das offene Land den Taliban preis. Genau so sah die Endphase des sowjetischen Abenteuers in Afghanistan aus.,
Die Entwicklungshilfe wird vermutlich verpuffen, weil die Strukturen nicht stimmen: Seit Jahr und Tag investieren wir nur in solche Projekte, die den Militärs ihr Geschäft erleichtern und gründen uns nicht genügend auf die Wünsche der Bevölkerung. Die Chance zur Rückkopplung mit dem Widerstand, die hier billig als Nebenprodukt zu haben wäre, wird fast gar nicht genutzt. So stehen dann eben Schulen leer, fliegen neue Brücken in die Luft, werden Entwicklungshelfer bedroht und umgebracht – alles unnötig und relativ einfach vermeidbar.
Und die Fata Morgana der afghanischen »Sicherheits-Selbstverantwortung« wird auch vom deutschen NATO-Generals General Egon Ramms, Kommandeur des Afghanistan-Kommandos im niederländischen Brunssum, nicht für bare Münze genommen. Ramms sieht den Zeitplan als unerfüllbar an. Überall in der NATO-Welt beschweren sich Experten, dass Obamas abenteuerliche Zahlenspiele nicht haltbar sind, mit oder ohne Zeitplan.
Der seit 2008 laufende Aufbau lokaler Milizen in Afghanistan, die mit Dollarsäcken ermuntert werden, NATO-Truppen vor dem afghanischen Widerstand zu beschützen, geht auf Planungen des US-Verteidigungsministeriums zurück, die sich wiederum auf 2007er Studien der Pentagon-Denkfabrik »Rand Corporation« gründen. In Kundus wirkt da zum Beispiel ein zwielichtiger Milizkommandeur aus der Gefolgschaft des ebenso mörderischen wie diebischen Usbekengenerals Dostum, mit dem Decknamen Palavan Haji Gul, Klarname Mir Alam. Der brüstet sich offen, Kinder zu missbrauchen und ist auch sonst bei Mord und Diebstahl nicht zimperlich, sagen Einheimische. Zur Personalgewinnung seiner Miliz werden Strafgefangene vorzeitig erlassen. Er ist verschwägert mit dem Polizeichef von Kundus, Mohammad Daud, direkter Untergebener und örtlicher Dogen-Warlord im Solde des jetzigen Vizepräsidenten Fahim. Daud steht im Ruf, mit Freude zu morden. Seit die USA seinen Polizisten massenhaft Waffen geliefert haben, sind die Straßen der Provinzhauptstadt ab acht Uhr abends menschenleer.
Der Öffentlichkeit lassen sich solche Milizen als »dörfliche Selbstverteidigung vor den Taliban-Terroristen« verkaufen. Geplant ist laut Rand Corp., dass nach dem NATO-Abzug kleine Spezialistenteams mit hohen Kompetenzen diese Milizen »betreuen«. Klartext: Afghanistan versinkt im Bürgerkrieg, der von außen gezielt finanziert und gesteuert wird, um zu verhindern, dass andere Mächte, vor allem China, sich den Abzug zunutze machen. Zusammen mit Pakistan entsteht ein »Chaosgürtel«, der den Bau einer vertraglich vereinbarten Gas-Pipeline von Iran nach Indien (und China?) unterbinden soll.
Verteidigungsminister Guttenberg hat bisher bewiesen, dass er überfordert ist – und sich von seinem transatlantischen Netzwerk für das schmutzige und blutige Ende eines verlorenen Kriegsabenteuers missbrauchen lässt. Doch Guttenberg trägt keine Schuld am Afghanistan-Desaster – zumindest das deutsche Erbrecht sieht vor, dass man ein Erbe auch ausschlagen kann.
Der Autor ist Regierungs- und Unternehmensberater mit Erfahrung in Afghanistan und Pakistan. Im Februar erschien sein Buch »Afghanistan-Pakistan: NATO am Wendepunkt« (Homilius Verlag).
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