Wer hat, dem wird gegeben
Mit dem Nationalen Stipendienprogramm verschärft die Bundesregierung die soziale Auslese
Damit hatte die Bildungsministerin wahrscheinlich nicht gerechnet. Dass der von ihr geplante Ausbau der Hochschulstipendien auf einen gewissen Gegenwind stoßen würde, darauf dürfte Anette Schavan eingestellt gewesen sein. Dass aber selbst die nach dem ehemaligen CDU-Bundeskanzler benannte Ludwig-Erhard Stiftung bemänteln würde, dass wahrscheinlich vor allem all jene aus ihrem Stipendienmodell einen Nutzen ziehen werden, die eine Unterstützung überhaupt nicht benötigten, dürfte sie überrascht haben. Hilflos und undifferenziert reagiert sie deshalb auf eine Kritik, die mittlerweile auch aus dem eigenen Lager kommt. »Allergisch« nennt sie ihre Kritiker. Ihre »Allergie« bräche immer dann aus, wenn Bildung und Leistung in einen Zusammenhang gebracht würden. Dabei müsse sich Begabung, Fleiß und Leistung lohnen.
Widerstand formiert sich nicht nur bei den üblichen Verdächtigen, der GEW, in den Studentenvertretungen oder der Linkspartei, sondern ausgerechnet auch bei jenen, die von der Reform eigentlich profitieren sollen. Mehr als 2700 Stipendiaten der großen Förderwerke haben mittlerweile eine Petition unterschrieben, die sich gegen die entsprechenden Pläne der Bundesregierung wendet. Nach dem von Frau Schavan geplanten Nationalen Stipendienprogramm sollen die »besten«, »begabtesten« und »leistungsfähigsten« zehn Prozent der Studierenden ein vom Einkommen ihrer Eltern unabhängiges Stipendium von monatlich 300 Euro bekommen. Die Kosten sollen sich Bund und Länder einerseits und die Wirtschaft anderseits teilen. Zudem soll das Büchergeld derjenigen Studenten, die von den Förderwerken bereits unterstützt werden, von 80 Euro auf 300 Euro steigen.
Das Stipendienprogramm der Bundesregierung setzt also auf die Förderung einer sogenannten Begabtenelite. Von der Idee der Chancengleichheit hat man sich nachdrücklich verabschiedet. Von humanistischen Bildungsidealen nicht erst jetzt. Im internationalen Vergleich gelten die bundesdeutschen Schulen und Hochschulen bereits heute als besonders sozial ungerecht. Soziale Ungleichheit wird durch sie eher verfestigt als beseitigt. Das Elitenförderungsprojekt der Regierung wird die bildungsbezogene soziale Schließung der Gesellschaft nach unten noch weiter verstärken. Die Vergabekriterien für die Stipendien sind zudem bisher weitgehend unklar, Rechtsansprüche wie beim Bafög bestehen nicht.
Studien haben belegt, dass große Teile der Stipendiaten aus gut verdienenden Haushalten kommen. Das kann nicht überraschen. Schulischer und universitärer Erflog wird zwar individuell zugerechnet, ist aber wesentlich durch den familiären und sozialen Hintergrund mitbestimmt. Begabung und Leistung, die großen Leitsterne des Nationalen Stipendienprogramms, sind weniger auf Geburtsanlagen oder eine vom Himmel gefallene individuelle Einstellung zurückzuführen, als auf die soziale Herkunft. Frau Schavans Programm zielt also auf eine Förderung sozial gut gestellter junger Erwachsener. Jene, die über keine weiteren Einkommen verfügen, müssen weiter neben dem Studium jobben, da die 300 Euro nicht bedarfsdeckend sind.
Insgesamt übersieht Schavan die gesellschaftspolitischen Aufgaben des Bildungswesens, indem sie sich auf eine materielle Förderung jener Studierender konzentriert, die sich aufgrund ihrer sozialen Position oder ihrer Befähigungen selbst bereits recht gut helfen können. Bildung ist immer mehr als Berufsqualifikation und als ein Mittel zum Einkommensgewinn. Sie dient auch der Persönlichkeitsentwicklung, der Entwicklung kritischen und eigenständigen Denkens und bestimmt nicht unwesentlich die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten einzelner Menschen. Solche Werte genießen in der Bildungspolitik der Bundesbildungsministerin keinen Stellenwert.
Dass sich Wirtschaftsunternehmen an der Finanzierung der Stipendien beteiligen sollen, weckt desweiteren die Befürchtung, dass ganze Studiengänge, die für die Wirtschaft relativ uninteressant sind, hinten runter fallen werden. Erneut wird dies vor allem die Sozial- und Geisteswissenschaften betreffen, die bereits seit Jahren unter dem Umbau des Hochschulwesens zu leiden haben. Dies ist äußerst problematisch, denn diese Fächer dienen nicht nur für den kulturellen Zusammenhalt und der kulturellen Sinnbestimmung einer Gesellschaft. Sie beschreiben auch einen zentralen Ort, an dem konzeptionell an einer Lösung drängender Probleme der Gesellschaft gearbeitet werden soll. Drückend, wie die gegenwärtigen Problemlagen sind, darf dieser Ort nicht weiter verwaisen.
Das Unbehagen der Kritiker an dem Nationalen Stipendienprogramm ist also gerechtfertigt. Wer an den Hochschulen etwas Positives bewegen will, sollte erst einmal das Bafög deutlich anheben und erweitern, damit mehr Studierende in dessen Genuss kommen können. Weitergehend sollte die alte Forderung aus der Studentenbewegung der 1960er Jahre nach einem Studiengehalt und nach einer Anerkennung des Studiums als Arbeit wieder auf die Agenda gesetzt werden. Wer die Studienqualität verbessern will, muss sich für einen Wiederausbau des akademischen Mittelbaus an den Universitäten stark machen und den Stellenwert der Lehre verbessern. Mit dem Niveauverlust der Lehre, mit der weitgehenden Verschulung des Studiums und den permanenten Prüfungsdruck auf Seiten der Studierenden wird man sich kritisch auseinandersetzen müssen. Sie alle sind strukturell mit den Bolognareformen der letzten Jahre verbunden.
Es wird Zeit für eine neue Leitvision. Welche Bildung wollen wir künftig haben? Wie sollen die Institutionen aussehen, in denen gelernt wird und welchen gesamtgesellschaftlichen Zielen sollen sie verpflichtet sein? Letztlich wird es aus einer linken Perspektive darum gehen müssen, die alten humanistischen Bildungsideale neu zu formulieren, zu modernisieren und für eine veränderte Welt tragfähig zu machen.
Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und war bis Januar 2010 Studienstipendiatin der Rosa-Luxemburg Stiftung.
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