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Die Unterwürfigen
Der Papst vor einem weltlichen Gericht? Allein die theoretische Möglichkeit einer solchen Ungeheuerlichkeit sorgte kürzlich für Schlagzeilen. Der Anwalt Jeff Anderson, der in den USA die Opfer eines katholischen Priesters vertritt, der bis zu 200 Kinder sexuell missbraucht haben soll, hofft jedenfalls auf eine solche Vorladung. Angesichts der jahrzehntelangen Vertuschungsstrategie des Heiligen Stuhls ist er überzeugt: »Alle Probleme, die wir in den USA haben, führen zurück nach Rom. Nichts wird sich ändern, bis sich die Vertreter dort ändern.«
Es ist eine Binsenwahrheit, die der US-Jurist ausspricht: Die katholische Weltkirche ist kein zusammenhangloses Gebilde, sondern eine von der Zentrale straff organisierte und geführte Organisation. Und diese Zentrale ist zugleich ein Staat, der als absolutistische Theokratie innerhalb Europas einen schwer zu überbietenden Anachronismus darstellt.
Aber sie ist eben auch ein Staat, den bei entsprechender Notwendigkeit zu kritisieren eine selbstverständliche Pflicht von Politikern sein sollte. Insofern war die Intervention Angela Merkels im Fall der Rehabilitierung des Holocaustleugners Richard Williamson Anfang des vergangenen Jahres durchaus angemessen.
Eine solche Intervention haben europäische Politiker bei der Skandalserie der Una Sancta um Gewalt und Missbrauch allerdings bislang vermissen lassen.
Es ist ausgerechnet ein katholischer Prälat, der seinem Unmut darüber jetzt Luft machte. Bischof Peter Moran aus Schottland appellierte an die europäischen Spitzenpolitiker, angesichts des Missbrauchsskandals in der Kirche deutlichere Kritik am Vatikan zu üben.
»Auch christliche Politiker sollten sich trauen zu sagen: Ich bin anderer Meinung«, erklärte Moran in einem Interview mit dem Brüsseler Informationsdienst »EUObserver«. Konkret bezog sich Moran auf eine Äußerung von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der erklärt hatte, die Homosexualität sei das Übel, das Pädophilie begünstige. Der Bischof verwies zudem darauf, dass in Irland der geheimniskrämerische Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen durch »eine übertriebene Hochachtung gegenüber dem Klerus« begünstigt worden sei. Wie der »EUObserver« betonte, hielten sich die Präsidenten der drei großen EU-Institutionen Parlament, Rat und Kommission – die alle aus den Reihen der Christdemokraten kommen – in der Debatte um Missbrauch in der Kirche bisher zurück.
Der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi, Autor des aktuellen Enthüllungsbestsellers »Vatikan AG«, hat diese »bis heute ehrfürchtige Unterwürfigkeit« als jene »ungreifbare Konditionierung« ausgemacht, auf der die eigentliche Macht der Kirche in Italien beruhe. Nicht nur in Italien, sei ergänzt. Diese Konditionierung begünstigte eine Vertuschungsstrategie, auf die der Heilige Stuhl bei den dubiosen Geschäften der Vatikanbank ebenso setzte wie im aktuellen, weltweiten Missbrauchsskandal: nur das bestätigen, was ohnehin bekannt ist, und darüber hinaus nur das preisgeben, was in Bälde ohnehin ans Licht kommen wird. Ansonsten ist Schweigen Gold, von dem besonders Benedikt XVI. reichlich besitzt.
Ob der Papst mit seinen Ankündigungen zu mehr Kooperation bei der Missbrauchsverfolgung »nun das Steuer herumriss«, wie die spanische Zeitung »El País« schrieb, ist deshalb noch längst nicht ausgemacht. Man sollte nicht vergessen, dass nur der Heilige Stuhl und Belarus immer noch nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten sind. Zudem ist der Vatikanstaat singulär als europäisches Land, das nicht ein einziges Rechtshilfeabkommen mit anderen Staaten des Kontinents unterzeichnet hat.
Es gibt also genügend Gründe für europäische Politiker, Kritik an der Theokratie hinter den Leoninischen Mauern nicht länger als Sakrileg zu betrachten.
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