Vom Senkrechtstarter zum Denkzettel

CDU-Ministerpräsident Rüttgers setzt auf die Angst vor der LINKEN – und seine Frau Angelika

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Einst galt Jürgen Rüttgers als potenzieller Bundeskanzler. Doch nach fünf Jahren Amtszeit ist die Bilanz des NRW-Ministerpräsidenten durchwachsen: Gewerkschaften, neoliberale Denkfabriken und CDU-nahe Politologen stellen dem NRW-Ministerpräsidenten schlechte Noten aus. Er selbst wähnt das Land »in guten Händen«.

Die NRW-Landtagswahl am 9. Mai sei eine Denkzettelwahl für Merkels Bundesregierung? Jürgen Rüttgers lächelt: »Der Denkzettel bin ich!«, ruft der Mann im mausgrauen Anzug, der sich als soziales Gewissen der Kanzlerin-Partei wähnt. 6000 CDU-Anhänger in der Oberhausener »Arena« bejubeln ihren Spitzenkandidaten, der mit dem Sturm gegen Merkels Schwarz-Gelb die eigenen schwarz-gelben Segel aufblähen will. Die Rüttgers-Fans halten Schilder hoch, auf denen »Stabil statt Rot-Rot« und »Rüttgers stark wählen« steht. Schließlich beginnt an diesem Tag, dem 10. April, die heiße Wahlkampfphase. Die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, als eine Band den offiziellen Wahlkampfsong intoniert: »NRW in guten Händen«. Rüttgers lächelt, klatscht, winkt ins Publikum. Mut! Chance! Sicherheit! Gefühl! Gemäßigt laute E-Gitarren untermalen die unpolitische Botschaft: »Nordrhein-Westfalen, Nordrhein-Westfalen, nananananana!«

Ein halbes Jahrzehnt ist es nun her, dass Jürgen Rüttgers die scheinbar ewige SPD-Herrschaft in NRW brach. Vor Rüttgers hatte es die CDU an Rhein und Ruhr fertig gebracht, in fünf aufeinander folgenden Wahlen sechs Spitzenkandidaten zu verschleißen. Auch Rüttgers gewann das »sozialdemokratische Stammland« erst im zweiten Anlauf, wobei er vom massiven Frust über Gerhard Schröders Agenda-Politik profitierte. Der Pulheimer musste wenig mehr tun als »Ihr habt versagt, macht Euch vom Acker!« zu rufen. Das tat er denn auch. Und er löste damit ein politisches Erdbeben aus: Es folgten Neuwahlen im Bund. Merkel wurde Kanzlerin.

Fünf Jahre Rüttgers, fünf Jahre Schwarz-Gelb – wie fällt die Bilanz aus? Rüttgers Wirtschafts- und Sozialpolitik sei ein »schamloses Programm zur Förderung von Hire and Fire«, meint Gabriele Schmidt, NRW-Bezirksleiterin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. »Die soziale Spaltung prägt das Bildungssystem NRWs in wachsendem Ausmaß«, analysiert der DGB in NRW. Auch die Bertelsmann-Stiftung stellt Rüttgers schlechte Noten aus. Im »Standortwettbewerb« des neoliberalen think tanks belegt NRW unter den westlichen Bundesländern stets hintere Plätze. Untersucht wurden die Faktoren Einkommen, Beschäftigung und Sicherheit. Zuletzt häuften sich die schwarz-gelben Skandale: Der bekannteste ist die Sponsoring-Affäre, die bei vielen Beobachtern den Eindruck aufkommen ließ, die Politik von »Miet-Rüttgers« sei käuflich.

Rüttgers Umfragewerte sind mies. Dabei war der 58-Jährige doch ein Senkrechtstarter: Bereits in seiner Schulzeit fiel er durch besondere Disziplin auf, war Klassensprecher – und saß in der ersten Reihe. »Freiwillig«, wie Hans Oster, Rüttgers Klassenlehrer am Kölner Apostelgymnasium betont. Es folgten der Eintritt in die CDU mit 19 und ein Jura-Studium nebst Mitgliedschaft in einer CDU-nahen Burschenschaft. Bereits mit 43 Jahren wurde er Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Nicht nur der »Financial Times« erschien der »Zukunftsminister« der Jahre 1994 bis 1998 als »Deutschlands künftiger Mann«, also als potenzieller Kanzler. Rüttgers agierte seinerzeit als Propagandist für Gen- und Informationstechnik – und stramm neoliberal: Er stellte die Bafög-Zahlungen von einer Studienförderung auf Bankkredit um. Er verordnete den Universitäten »Wettbewerb und Leistung«. 1997, als die Republik vier Millionen Arbeitslose beklagte, wetterte Rüttgers gegen die »risikolose Vollkaskogesellschaft« und beschwor »alte Tugenden« wie Eigenverantwortung und Opferbereitschaft.

Heute inszeniert Rüttgers sich als »Arbeiterführer«. Er tauchte vor den Werkstoren von BenQ, Nokia und Opel auf. Dass dadurch auch nur ein bedrohter Arbeitsplatz gerettet wurde, ist nicht überliefert. Längst gilt ein Sozialdemokrat als sein Vorbild: Johannes »Versöhnen statt Spalten« Rau, NRW-Ministerpräsident der Jahre 1978 bis 1998. Dass Raus Stiefel zu groß für Rüttgers seien, glaubt indes selbst Gerd Langguth, der ehemalige Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Gegensatz zu Rau komme Rüttgers »nicht besonders massenwirksam rüber«. Laut dem CDU-nahen Politologen werde Rüttgers »nicht geliebt, sondern respektiert«. Genau das hat man auch dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt immer nachgesagt.

Seine Krawatten sucht Rüttgers sich selber aus, denn er sei »schließlich erwachsen«. Diese Auskunft stammt von Gattin Angelika, die er im Wahlkampf (und insbesondere seit Bekanntwerden der Sponsoring-Affäre) mit auf Tour nimmt. Mit dem »inszenierten Ehe-Talk« (»Rheinische Post«) will er menschlicher und weniger spröde erscheinen, wie Spötter vermuten. Immerhin erfuhr die Republik so, wie viele Brötchen die fünfköpfige Familie Rüttgers zum Frühstück verspeist: 15 sind es. Auch ein weiteres brisantes Faktum wurde nicht beschwiegen: Rüttgers eilt mitunter eigenfüßig zum Bäcker.

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