Im Fluss der Linien und Farben
Berliner Graphikpresse und grafikstudiogalerie in Berlin: Malerei von Linde Bischof
Linde Bischof, die seit einem halben Jahrhundert in Berlin lebt, hat die künstlerische Potenz dieser Stadt nachhaltig mitgeprägt, selbst wenn das die Museen bisher verschlafen haben. Zwei Bilderschauen von unterschiedlicher Ausrichtung um ihren 65. Geburtstag machen ihre Rolle und Bedeutung deutlich. Sich keiner der agierenden Künstlergruppen im Sinne einer festen Bindung zuordnend, zieht die im thüringischen Wasungen geborene Linde Bischof ihre Spur. Es geht ihr um Kunsttun, nicht Kunstreden oder fragwürdige Verteilungskämpfe im Umfeld. Während die neuen Werke in der grafikstudiogalerie der edition stechlin zu sehen sind, zeigen Galeristin Sabine Röske und Monika Radloff fünf Minuten Fußweg entfernt in ihrer Graphikpresse Arbeiten aus 35 Jahren. Da sind die ruhigen, dunklen Öl-Bilder der 1970er, sich aus der Starre lösende Radierungen und Aquarelle der 1980er und furiose Übermalungen gegen den Strich aus den 1990er Jahren.
Charme, Leichtigkeit und Frische – es sagt sich leicht dahin, wenn man das Gesehene summarisch beschreibt. Bei genauerem Nachdenken wird klar, dass die Malerin nicht nur einen einzigen Augenblick im künstlerischen Bild festhält. Sie setzt sich vielmehr dem Risiko aus, den Charme zu vernachlässigen, wenn sie mit Nachdruck auf den Charakter des Dargestellten weist. Linde Bischof erzählt temperamentvoll im Fluss ihrer Linien und Farbflecken von Mensch und Tier, Naturlandschaften in den Bergen und am Meer. Sie erinnert an historische Figuren und an Zeitgenossen. Gestalten der Geschichte erscheinen heutig nah wie »Roxelane«, die Lieblingsgemahlin des osmanischen Sultans Süleyman I. Aus ihrer Skythenheimat beim Raubzug der Krimtataren (16. Jh.) entführt und als Sklavin nach Istanbul verkauft, erkämpfte sie sich dort durch Klugheit und List eine erstaunliche Position. Zeitgenossen verleiht die Malerin das Antlitz moderner »Kreuzfahrer«. Ihr Kolumbus in der übermalten Farblithografie ist ein Anti-Held: »Erstarrung« bezeichnet Linde Bischof die im Bild festgeschriebene Situation.
Figuren oder Dinge erhalten zum Zeichen verdichtete Sinndeutungen. »Das Zufällige offenbart uns das Dasein«, zitiert sie lakonisch Braque. Gern arbeitet sie mit Fundstücken aller Art, auch Wortgebilden, auf Suche nach dauerhafter Interpretation der vielgestaltigen Wirklichkeit. »Der Gedanke eines Malers«, das legte schon Matisse nahe, »gilt nicht unabhängig von seinen Ausdrucksmitteln, denn er ist nur so viel wert, als ihm die Mittel zu Gebote stehen.« Ausdruck liege nicht in der Leidenschaft, sondern in der Anlage des Bildes, also dem Platz, den die Körper einnehmen, in den sie umgebenden leeren Räumen, den Proportionen. Diese so verschiedenen Elemente ordnet Linde Bischof souverän in der jeweiligen Komposition.
Die Farbe Schwarz setzt sie als Kontrast beziehungsweise Kontrapunkt. Im subtil erinnernden Aquarell »Sommerlicht« tritt ein weiblicher Halbakt aus dem Hintergrund still nach vorn. Anderswo weisen virtuose schwarze Liniengeflechte auf heftige Auseinandersetzungen; sie symbolisieren Kräfte und Gegenkräfte, ein Spiel, aus dem schnell der Ernst einer existenziellen Bedrohung wachsen kann.
Bischofs Interesse gilt dem Menschenbild, und die Übergänge zwischen Figur und Porträt sind fließend. Das Selbstbildnis von 1975 zeigt die Malerin, die gerade ihr Studium bei Günther Brendel und Arno Mohr beendet hat. Wir sehen eine junge Frau im leeren, weiß-grün schimmernden Raum mit nach innen gerichtetem Blick: Konzentration, Zurückhaltung, Ungewissheit. Auch das zeitgleiche »Familienbild (Karneval)« ist alles andere als bunt und fröhlich. Die Farben kommen erst mit den Fremden.
In den 1980er Jahren reist Linde Bischof nach Polen, Bulgarien, Rumänien. Es sind vor allem ländlich geprägte, überschaubare Strukturen des Balkan, die weit über das Motivische hinaus ihre Bilder beeinflussen; das südliche Licht weist ihren Farben andere, neue Töne, aber auch großzügig gefasste Konturen zu. Quell wachsender künstlerischer Intensität werden die Begegnungen mit Menschen dieser Region, insbesondere Sinti und Roma, die sie auch später in Berlin-Marzahn aufsucht und ausgiebig zeichnet.
Seit einigen Jahren macht Linde Bischof ähnliche Erfahrungen in der Türkei. Von dort wie auch aus Musik und Literatur holt sie sich neben den Sujets Atem und Zuversicht für ihre Bilder. Denn die sind ihr das Eigentliche – »Alles andere vergeht«, titelt sie ihren neuen Katalog.
Bis 30. April. Galerie Berliner Graphikpresse, Gabelsbergerstr. 6, Mi-Fr 13-19, Sa 11-15 Uhr; grafik-studiogalerie Rigaer Straße 62, Mo-Di 10-17, Mi 9-14, Do 12-18, Fr 9-13 Uhr; Katalog
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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