»Wir werden wohl unsere Heimat verlieren«

Der brasilianische Bergbaukonzern Vale erntet scharfe Kritik der örtlichen Bevölkerung. Ein Kongress brachte die Betroffenen zusammen

  • Christian Russau, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 5 Min.
Der brasilianische Multi Vale zählt zu den weltweit größten Bergbaukonzernen – und ist eines der profitabelsten Unternehmen. Doch die Gewinne werden erzielt auf Kosten der lokalen Bevölkerung. Betroffene aus Brasilien, Kanada, Chile, Argentinien, Neukaledonien, Peru, Ecuador und Mosambik wollen sich das nicht länger gefallen lassen und sparen bei ihren Protesten auch den Hauptsitz von Vale in Rio de Janeiro nicht aus.
Demonstration gegen den Konzern vor der Zentrale in Rio de Janeiro
Demonstration gegen den Konzern vor der Zentrale in Rio de Janeiro

José Lezma redet ruhig, doch ist ihm die Erregung anzumerken. »Sie waren bewaffnet, und sie wollten diese Waffen gegen uns einsetzen«, berichtet José in die Mikrofone des Saals. »Wir waren sehr überrascht, als wir sahen, dass Vale Kriminelle für den Sicherheitsdienst engagiert hatte«, fügt José hinzu.

José ist aus der Region Cajamarca in Peru nach Rio de Janeiro in Brasilien gereist, um von seinen Erfahrungen mit dem Bergbaukonzern Vale zu berichten. José ist Bauer, doch seit die Vale-Tochter Miski Mayo in seiner Heimat Kupfer zu gewinnen versucht, hat sich sein Leben geändert. Die Bauern haben sich organisiert, haben die Front zur Verteidigung des Beckens des Flusses Cajamarquino gegründet, haben Protestmärsche organisiert und Widerstand gegen das Bergbauprojekt geleistet. Im Februar 2007 wurde José von Sicherheitskräften der Mine mit Waffen bedroht. Das seien angeheuerte Milizionäre, berichtet José. Milizionäre, die die Anwohner einschüchtern – und die für Vale so wertvolle Mine schützen sollen.

»Sie zerstören mit der Natur auch die Kultur«

Jacques Sarimin Boengkih ist extra aus Neukaledonien angereist. Im Gespräch mit dem »Neuen Deutschland« berichtet er von den Umweltschäden, die die hundertprozentige Vale-Tochter Vale Inco mit Sitz im kanadischen Toronto in Neukaledonien angerichtet hat. Es kam zu zwei großen Unfällen, bei denen hochgiftige Säuren ausgetreten sind, und das direkt in der Zone mit einer der höchsten Biodiversitäten der Welt, berichtet der Aktivist. Vale Inco baut dort im Tagebau Nickelerz ab und verarbeitet in der angrenzenden Fabrik 16 000 Tonnen Nickel sowie fünf Tonnen Kobalt. Durch die Unfälle wurden Flora und Fauna dort vollends zerstört, klagt Jacques Sarimin. Entschädigungen habe nie einer der Anwohner gesehen. »Doch das Schlimmste ist, dass sie mit der Natur auch unsere Kultur zerstören«, meint Jacques. »Wir werden wohl unsere Heimat verlieren – und letztlich zu einer schlechten Kopie der westlichen Gesellschaft werden«, befürchtet Jacques.

In Piquiá, einer kleinen Gemeinde in Açailândia, im brasilianischen Bundesstaat Maranhão, hat der Bergbau von Vale die Gemeinde zunächst zerschnitten, dann alles verschmutzt. »Vor Jahren baute Vale eine Eisenerzbahnlinie mitten durch unsere Gemeinde mit 360 Bewohnern. Nun fliegt der Erzstaub direkt auf die Leute«, beklagt Edvard Dantas Cardeal aus der Gemeinde Piquiá. »Der Erzstaub, die Holzkohle und all die anderen Reste bewirken eine enorme Verschmutzung«, berichtet Edvard im Saal des Parlaments des Bundesstaates Rio de Janeiro, wo ein umfassendes Dossier vorgestellt wurde zu den Vorwürfen der Umweltverschmutzung, der Vertreibung von Menschen und der Ausbeutung von Arbeitskräften durch Vale. Das Dossier wurde von den Gruppen der Betroffenen länderübergreifend zusammengestellt und im Landesparlament vorgetragen.

Jeremias Vunjanhe ist dazu aus Mosambik nach Brasilien gereist. Er berichtet von der Situation in Moatize, im Norden Mosambiks, nahe der Grenze zu Malawi. Dort plane Vale die Ausbeutung von Kohle im Tagebau, doch um das Projekt zu verwirklichen, mussten 1100 Familien zwangsumgesiedelt werden, schildert Jeremias.

Widerstand in Mosambik

Noch wehren sich die Bewohner, hoffen auf Verhandlungen und Entschädigungen. Doch Jeremias ist skeptisch: »Wir kämpfen, aber es ist schwer«, so Jeremias gegenüber ND.

In Brasilien steht der Bundesstaat Pará im Zentrum der Vale-Aktivitäten. In dieser großen, auf den Export ausgerichteten Industrieregion, werden die Gemeinden unter erheblichen Druck gesetzt. Vale ist dort unter anderem an den Firmen Alunorte, Albrás, Pará Pigmentos und einem neuen Kohlekraftwerk beteiligt. Die Gemeinden klagen über direkte und indirekte Vertreibungen, über Verschmutzung und den Mangel an Perspektiven für sich und ihre Familien. Von Vertreibung berichten auch die Bewohner von Anchieta, im Süden des Bundesstaates Espírito Santo, wo Vale ein Stahlwerk bauen will. Doch dafür müssten die dort lebenden indigenen Familien zwangsumgesiedelt werden.

In Ourilândia do Norte, ebenfalls im Bundesstaat Pará, kommen die Milchbauern durch die Aktivitäten des Bergbaukonzerns in die Bredouille. »Früher haben wir jeden Tag 15 000 Liter Milch produziert, heute sind es nur noch 5000«, berichtete ein Milchbauer den Aktivisten der Karawane, die durch Pará zog. Der Bergbau frisst sich durch die Landschaft, stellte die Karawane fest. Und die örtliche Bevölkerung wird an den Rand gedrängt.

Ähnliches berichtet Alexandre, Mitglied der indigenen Gemeinde Anacé im Bundesstaat Ceará. »Wenn ich von vertriebenen Bauern höre, dann muss ich weinen. Diese Firmen schlagen unsere Wurzeln ab. Ich habe Angst, dass uns dort in Pecém das Gleiche droht«, bekennt Alexandre. In seiner Heimat Pecém werden ein Stahlwerk, ein Kohlekraftwerk und eine Raffinerie gebaut. Das größte Stahlwerk Lateinamerikas bauen Vale und die deutsche ThyssenKrupp an der Bucht von Sepetiba. Gemeinsam ist allen diesen Projekten – neben den Vorwürfen der Bevölkerung, vertrieben zu werden –, dass sie von der brasilianischen Bundesregierung massiv gefördert werden. Die Nationale Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES) vergibt Kredite unter den Marktzinsen, um diese Projekte im Rahmen des Programms zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums voranzutreiben. Dies ist im nun anlaufenden Wahlkampf zur brasilianischen Präsidentschaft einer der zentralen Pfeiler der Politik der Regierung Lulas: Megaprojekte öffentlichkeitswirksam zu fördern – und gleichzeitig sogenannte nationale Champions zu schaffen, also Unternehmen, die wie Vale oder Petrobras zwar börsengelistet sind, an denen der brasilianische Staat aber noch einen Anteil hält, der in Form einer Sperrminorität dem brasilianischen Staat unternehmerischen Gestaltungsspielraum garantiert. Lulas Programm setzt, trotz aller Proteste aus der Zivilgesellschaft, von Indigenen und Flussanwohnern ebenso wie von traditionellen Gemeinschaften, auf Megaprojekte.

Brasilianischer Imperialismus

Für Virgínia Fontes von der Bundesuniversität Fluminense (UFF) gesellt sich im Rahmen der weltweiten Expansion dieser nationalen Champions aber eine neue Dimension hinzu: »Der brasilianische Imperialismus wird da geboren. Brasilianische Konzerne fangen an, im Ausland Arbeitskräfte auszubeuten«, sagt die Wissenschaftlerin. Und der Parlamentsabgeordnete Chico Alencar, langjähriges führendes Mitglied der Arbeiterpartei PT, aus der er im Jahre 2005 aus- und in die linke PSOL eintrat, erklärt die besondere Rolle des brasilianischen Staats bei diesen nationalen Champions: »Der brasilianische Staat übt sich in seiner neuen Rolle, recht subtil, die Privatisierungen beizubehalten. Denn der größte Finanzier dieser Unternehmen ist eben die BNDES.« Wo denn das »Soziale« im Namen der Bank geblieben sei, will einer der Demonstranten vor dem Hauptsitz von Vale in Rio de Janeiro wissen. »Ist es etwa sozial, die Menschen zu vertreiben, sie mit Waffengewalt einzuschüchtern?«, fragt der Demonstrant die Umstehenden – um gleich darauf einzustimmen in die Protestrufe gegen den Vale-Konzern.

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