Mut zu ausgebreiteten Armen
Die Seite »Außer Parlamentarisches« im Neuen Deutschland feiert ihren sechsten Geburtstag
Es war das Thema für die Titelseiten der Zeitungen: Als vor einer Woche über 100 000 Menschen gegen den schwarz-gelben Ausstieg aus dem Atomausstieg demonstrierten, machte die Menschenkette zwischen den Meilern in Brunsbüttel und Krümmel große Schlagzeilen. Leitartikler prophezeiten dem Anti-AKW-Protest eine Auferstehung – was so klang, als ob der zuvor am Ende gewesen war. Doch viele Initiativen hatten nie damit aufgehört, gegen den strahlenden Wahnsinn anzukämpfen. Es war nur lange Zeit kein Thema für die ersten Seiten mehr.
Bis jetzt. Soziale Bewegungen haben ihre Konjunkturen, politisches Graswurzeltum braucht eine eigene Öffentlichkeit. Als wir 2003 im »Neuen Deutschland« anfingen, über eine Erneuerung des Blattes zu diskutieren, musste die Redaktion sich ein besonderes Interesse für gesellschaftliches Engagement von unten, für Widerstand und Aktionsorientierung nicht erst aufgeben. Das alles war schon da – aber wir wollten es besser machen, jedenfalls anders.
Die Zeitung sollte sich »stärker als Kommunikationsforum für linke Vernetzung« anbieten, hieß es in einem der Konzeptpapiere, die den Relaunch von 2004 vorbereiteten. Wir wollten einen eigenen publizistischen Ort für die Themen der unabhängigen Linken schaffen. Es war auch ein Versuch der Öffnung einer Zeitung, die von vielen zuallererst als parteinahe angesehen wurde: »Mut zu ausgebreiteten Armen« über Themengräben und Strömungsgrenzen hinweg, das war keine Phrase aus der Konzeptsprache. Der Arbeitstitel für die neue Seite zeigte an, worum es ging, auch auf das »Neue Deutschland« selbst bezogen: »Es bewegt sich was«.
Anfang Mai 2004, an einem Freitag, war Premiere. Angekündigt oben rechts auf der Seite 1. Dass die neue Rubrik nun »Außer Parlamentarisches« hieß, verstand mancher Leser als Affront gegen die Sprache. Aber es war gerade dieses nicht auf den ersten Blick passen Wollende, das jenes kleine Wortspiel so passend machte. Geradezu programmatisch, dass einer der ersten Texte an Johannes Agnoli erinnerte, der im Jahr zuvor, im Mai 2003, gestorben war: an seine Institutionenkritik, seine unverbrüchliche Skepsis gegenüber dem real existierenden Parlamentarismus, die Rezeptionsgeschichte seiner »Transformation der Demokratie«, die eine der Bibeln der 68er war und auch heute noch zum Standardbuch für viele Linke gehörte.
Intern hieß die Seite bald nur noch APO-Seite. Jene, die sie als Redakteure betreuten, waren immer darauf bedacht, dass »Außer Parlamentarisches« kein unfreiwilliges Themenexil wird, sondern im besten Sinne ein Sonderangebot. Linke Initiativen, soziale Bewegungen, Widerstand von unten – das gab es danach immer auch anderswo im »Neuen Deutschland« zu lesen. Aber man wusste nun auch: auf jeden Fall am Freitag auf Seite 13. Die Zahl erwies sich nicht als schlechtes Omen. Die Reaktionen fielen aus, wie wir es uns anfangs erhofft hatten: positiv aber auch streitbar, von alten wie von ganz neuen Lesern. Es hatte sich was bewegt.
Inzwischen erscheint »Außer Parlamentarisches« mittwochs und auf einer anderen Seite. Der »Mut zu ausgebreiteten Armen« ist geblieben. Fortsetzung erwünscht.
Tom Strohschneider arbeitete von 2001 bis 2008 beim Neuen Deutschland, war 2003 als Redakteur an der Geburt von »Außer Parlamentarisches« beteiligt und hat die Seite bis 2006 betreut. Heute arbeitet er bei der Wochenzeitung »Der Freitag«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.