Mitten im sowjetischen Soldatenalltag

Förderverein sammelte für die Ausstellung zurückgelassene Gegenstände ein

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 5 Min.
Am Sonnabend wurde im brandenburgischen Wünsdorf ein Museum über den Alltag der sowjetischen Soldaten in Ostdeutschland eröffnet. Anlass war der Tag der Befreiung vom Faschismus.
Technik aus dem Rechenzentrum Fotos: Rainer Funke
Technik aus dem Rechenzentrum Fotos: Rainer Funke

Noch befanden sich in der zurückliegenden Woche allerlei Gegenstände, Hinweistafeln und erläuternde Schilder nicht am vorgesehenen Platz. Überall wurde letzte Hand angelegt. Das Museum »Russischer Soldatenalltag« in Wünsdorf zeigte jedoch bereits vor seiner Eröffnung deutlich Konturen.

Es handelt sich gewissermaßen um ein Museum im Museum, denn es wurde umgesiedelt vom Dachboden des nahen Gutenberghauses, hier und da umgestaltet, ergänzt und faktisch angefügt an die Ausstellung »Roter Stern« im umgerüsteten und unter Denkmalschutz stehenden Stall der einstigen kaiserlichen deutschen Reiterei. Hier wird die politische und militärische Geschichte der in der DDR stationierten sowjetischen Truppen und die Geschichte des Hauptquartiers in Wünsdorf ab 1945 beschrieben. Die Darstellung endet mit dem Abzug der Truppen 1994. Der Zufall hat bei der Gestaltung des Alltagsmuseums eine erhebliche Rolle gespielt. Denn es war nicht zuerst das Konzept da, nach dem Exponate ausgesucht und zusammengestellt wurden. Ganz im Gegenteil: 980 militärisch genutzte Gebäude befanden sich beim Abzug auf dem 590 Hektar großen Gelände der Garnison, die inzwischen zu einer Geisterstadt geworden war. Nach dem für einen solch gewaltigen Militärkomplex verhältnismäßig knapp befristeten Abmarsch in die Heimat war viel an Gebrauchsgegenständen und Gerät zurückgeblieben.

Und so machten sich Mitglieder des ortsansässigen Fördervereins Garnisonsmuseum Wünsdorf auf, um zusammenzutragen, was sich womöglich für ein Museum eignen könnte. Besagter Zufall führte Regie, ob es sich bei den Funden um einen aus schlichter Stahlkonstruktion gefertigten Feldzahnarztstuhl handelte, um einen wohl tönernen Reliefkopf vom ersten Oberkommandierenden, Marschall G. K. Shukow, oder um den Teil einer Anlage zur Überwachung des Luftraumes. Es fanden sich Schautafeln mit minutiösen Anleitungen und Vorschriften darüber, wie ein Fußlappen zu wickeln, Gemüse zu putzen oder die Haarpracht zu stutzen wäre und die Uniform zu sitzen habe.

Für die Soldaten war der Alltag hinter den kilometerlangen Betonmauern fern der Heimat außerordentlich schwierig. Nirgendwo in der Sowjetarmee wurde härter ausgebildet als in den Wünsdorf unterstehenden Truppen. Das hatte damit zu tun, dass Moskau damit rechnete, im Falle eines Krieges nach einer nur geringen Vorwarnzeit handeln zu müssen, womöglich nur nach wenigen Minuten, es gab eine dauerhaft hohe Gefechtsbereitschaft. Deshalb durfte ein großer Teil der Soldaten – je nach der politischen Lage – oftmals über Wochen Bunker, mit Tarnnetzen gedeckte Unterstände, Panzer, Schützenpanzer, Jagdflugzeuge, Hubschrauber oder Raketensysteme nicht verlassen.

Urlaub gab es so gut wie nie und jedenfalls nicht für jeden, Freizeit nur militärisch organisiert, Besuche beim Waffenbruder NVA selten. Ausgänge blieben rar und waren meist nur in geschlossener Formation möglich. Da wurden Einsätze bei der Ernte der Genossenschaftsbauern und bei Katastrophen, so abwegig das klingen mag, zu einer willkommenen Abwechslung. Die Anstrengungen der sowjetischen Soldaten wurden in den Betrieben geschätzt – davon zeugen Gästebücher und Dankesbriefe auf einer Tischreihe der Ausstellung.

Man übernachtete in Sälen, die für 184 Soldaten ausgelegt waren. Zuletzt wachte ein Bild Jelzins hoch an der Wand über ihren Schlaf. In der Regel blieben auch in kleineren Räumen dem Rekruten nicht mehr als zweieinhalb Quadratmeter für sich. Im gleichen Bereich gab es auch Schulungen, nebenan Leninzimmer, Waffenkammer, Toiletten und Dienstleistungsräume, Kleiderkammer – fast alles in einem, und das eine für alle. Vor allem in den letzten Jahren vor dem Abzug kam es zu Gewalt untereinander, Fahnenfluchten und dergleichen mehr.

Obwohl das etwas wahllose Sammelsurium im Museum nicht zu übersehen sein dürfte, findet man – bei allem, was man weiß – ein ziemlich realistisches und plastisches Bild des Soldatenalltages in Wünsdorf vor. Dabei konnte wegen Platzmangels nur weniger als die Hälfte der eingesammelten Fundstücke im Ausstellungsraum untergebracht werden.

Geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr

Fakten



  • Mit dem Befehl Nr. 11095 wurde ab 10. Juni 1945 die 1. Belorussische Front, die u. a. Berlin befreit hatte, in Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland umbenannt. Man teilte ihr Truppenteile anderer Fronten zu. Im März 1954 gab es wieder einen neuen Namen: Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD).
  • Der Dienstsitz des Oberkommandos befand sich zunächst in Berlin-Köpenick, dann ab September 1945 in Potsdam-Griebnitzsee, Anfang 1953 (verschiedene Quellen nennen auch das Jahr 1951) erfolgte der schrittweise Umzug von Stäben und Truppen nach Wünsdorf.
  • Reichlich 8,5 Millionen sowjetische Soldaten dienten von der Befreiung 1945 bis zum Abzug 1994 auf dem Territorium der DDR.
  • Mit Zuspitzung des Kalten Krieges zwischen den Supermächten wurde die GSSD zu einer der mächtigsten Militärkontingente Europas und zum Vorposten des Ostens an der sensiblen deutsch-deutschen Grenze ausgebaut. In der GSSD wurden ständig neue Waffen und andere Technik erprobt.
  • Dem Hauptquartier in Wünsdorf unterstanden anno 1991 rund 545 000 Soldaten und Zivilbeschäftigte, dazu 4209 Panzer, 8209 Schützenpanzer, 180 Raketensysteme, 3682 Geschütze, 1023 Fla-Rakentenkomplexe, 691 Flugzeuge, 683 Hubschrauber.
  • Soldaten und Technik waren auf 276 Standorte, 777 Kasernen, 116 Truppenübungsplätze und 47 Flugplätze verteilt.
  • Am 1. Mai 1977 erhielt Wünsdorf einen Bahnhof für das sowjetische Militär. Von hier aus führte ein 1926 Kilometer langer Schienenstrang direkt nach Moskau. Es fuhr täglich ein Zug.
  • Nach Abzug der letzten Truppen im September 1994 übernahm das Land Brandenburg die Liegenschaften der sich über 590 Hektar erstreckenden Garnison Wünsdorf. Rainer Funke
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.