Für einen Sack voll Münzen
IG Metaller wollen mit 8500 Ein-Centstücken die FDP kaufen
Kurzfristige Spendenannahmen sind nicht Sache der FDP. Diese überraschende Erfahrung machten rund 40 IG-Metall-Mitglieder in Stuttgart. Sie waren aus dem benachbarten Esslingen zum Landesverband der Liberalen gefahren, um fünf Geldsäcke mit etwa 8500 Ein-Centstücken zu übergeben. Wochenlang hatten sie bei Kolleginnen und Kollegen Cent-Stücke gesammelt, doch es fand sich partout niemand bei den schwäbischen Freidemokraten, der das Geld annehmen wollte. Der Pressesprecher des Landesverbandes Jan Havlik wurde zwar angetroffen. Aber: »Ich bin nicht berechtigt, Geld anzunehmen.« Die Metaller hatten ihre Spaßaktion unter das Motto gestellt: »Wir kaufen uns die FDP«.
Ganz nach Vorbild von Mövenpick und Co. wolle man so den Progressionsvorbehalt für Kurzarbeiter beseitigen, erklärte der Esslinger IG-Metall-Chef Sieghard Bender. Denn Kurzarbeiter müssen in der Steuererklärung das – eigentlich steuerfreie – Kurzarbeitergeld angeben. Ergebnis: Wegen des Progressionsvorbehalts steigt ihr zu versteuerndes Jahreseinkommen – und sie müssen nachzahlen. Bender schildert ein extremes Beispiel: Ein Kollege, Anfang 30, seit Anfang 2009 in Kurzarbeit Null, hat rund 650 Euro weniger im Monat als mit seinem normalen Gehalt. Da auch das Erziehungsgeld für seine Frau angerechnet wird, droht nun eine Steuernachzahlung von etwa 3000 Euro, die er nicht habe. Bender: »Der Kollege hat alles so gemacht, wie es die Politik gerne hätte: Ordentliche Ausbildung, fester Arbeitsvertrag, geheiratet, Kind bekommen. Jetzt wird er bestraft, obwohl er für die Auswirkungen der Finanzkrise ja nun wirklich nichts kann.« Ohne den Progressionsvorbehalt hätten die 1,5 Millionen Kurzarbeiter vom vorigen Jahr laut Benders Schätzung 800 Millionen Euro mehr für den Konsum.
Weil die IG Metall Esslingen vom FDP-Landesverband ein Fax bekommen hatte, dass sich leider niemand für den Spendentermin finden lasse und zudem alle Mitarbeiter im Büro erkrankt seien, hatten die Metaller selbst für den FDP-Parteivorsitzenden gesorgt. Mit einer Guido-Westerwelle-Maske bedeckt, erklärte ein Gewerkschafter unter großem Gejohle: »Danke für die Spende. Aber die Besteuerung des Kurzarbeitergeldes muss trotzdem bleiben. Schließlich müssen wir ja irgendwie die Steuererleichterung von 1,6 Milliarden Euro für die Hoteliers finanzieren.«
Der (echte) Pressesprecher, der überraschenderweise doch da war, mochte sich zum Progressionsvorbehalt für Kurzarbeiter nicht äußern: »Weil wir keine dezidierte Meinung dazu haben.« Als Denkanstoß füllten die Metaller einen Geldsack Münzen in den FDP-Briefkasten und kündigten an, die Restspende demnächst persönlich in Berlin beim Bundesvorstand abgeben zu wollen.
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