Trauer um den »dummen Bengel«
Antifaschist Karl-Heinz Schnibbe mit 86 Jahren in den USA verstorben
Der »dumme Bengel«, wie sich Karl-Heinz Schnibbe selbst nannte, war ein echter Hamburger Jung, und blieb seiner Geburtsstadt – vor allem den Antifaschistinnen und Antifaschisten – immer verbunden. Er war bis zu seinem Tode Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und erst kürzlich sandte er ein Grußwort zur Eröffnung der Ausstellung »Die Freiheit lebt! Widerstand und Verfolgung in Hamburg 1933- 1945« im Foyer des Rathauses.
»Ich bin heute bei Euch im Geiste, denn ich bin sehr stolz darauf und unendlich dankbar dafür, dass wir dumme Bengels damals irgendwie den Mut fanden, gegen das denkbar bösartigste Regime der Weltgeschichte mit unserer Flugblattaktion gewaltlos vorzugehen«, schrieb Schnibbe darin.
Er gehörte zu einer Gruppe 17- bis 18-jähriger Jugendlicher um Helmuth Hübener, die zu Zeiten lebten, »da Kinder nicht mehr Streiche ausheckten, sondern es mit einem Staat aufnahmen«, wie Stefan Hermlin über Hübener und seine Freunde Gerhard Düwer, Rudolf Wobbe und Schnibbe schrieb. Sie verteilten in den Arbeiterwohngebieten Hamm, Hammerbrook und Rothenburgsort Flugblätter und Streuzettel, in denen sie sich kritisch mit der NS-Propaganda und dem Kriegsverlauf auseinandersetzten.
»Kuddl, machst du mit?«, fragte Hübener damals seinen Freund. Kuddl machte mit, aber ganz wohl war ihm dabei nicht: »Ich wusste, dass Helmuth Recht hatte. Aber ich hatte Angst.« Die war nicht ganz unbegründet, denn ihr Widerstand war nicht ungefährlich für die »dummen Bengel«, und kostete Hübener das Leben. »Es war, als spielten wir russisches Roulette«, schrieb Schnibbe in seiner Biographie »Jugendliche gegen Hitler«.
Am 5. Februar 1942 wurden Hübener und Düwer verhaftet, sie waren von einem Kollegen denunziert worden, wenige Tage später auch Schnibbe und Wobbe. Am 11. August 1942 fand vor dem Volksgerichtshof in Berlin die Verhandlung gegen die vier Jugendlichen statt. Hübener nahm alle Schuld auf sich und wurde zum Tode verurteilt. Mit seinem Geständnis rettete er seinen Freunden das Leben, die »lediglich« zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Am 27. Oktober 1942 wurde Hübener hingerichtet.
Schnibbe war der letzte Überlebende der Helmuth-Hübener-Gruppe. 1945 wurde er aus der Haft heraus an die Front geschickt. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1949 zurückkehrte. Drei Jahre später siedelte er nach Salt Lake City im US-Bundesstaat Utah über, wo er bis zu seinem Tode lebte.
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