Ausgangspunkt Fruchtschuppen C
Vom Hamburger Hafen aus wurden Sinti und Roma in Vernichtungslager deportiert
Das Thema Erinnerung stand am Donnerstag im Mittelpunkt einer Veranstaltung der Bürgerschaftsfraktion der Hamburger LINKEN. Erinnert wurde an die Deportation von etwa 910 Sinti und Roma vor 70 Jahren vom Hamburger Hafen aus. Entsprechend fand die Veranstaltung in einem Gebäude der HafenCity Universität statt, nahe dem Ausgangspunkt der Deportation, dem früheren Fruchtschuppen C, der 1949 abgerissen wurde. Der Historiker Marut G. Perle stellte in diesem Zusammenhang seine Studie »Deportationsstätte Fruchtschuppen C« vor. Norbert Hackbusch, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion in der Bürgerschaft, erinnerte an die etwa 500 000 Sinti und Roma, die im Rahmen der »Endlösung der Judenfrage« in nationalsozialistischen Vernichtungslagern ermordet wurden. Der Hamburger Lolo Weiß, Generalsekretär des Verbands Deutscher Sinti und Roma, sprach als Nachkomme ermordeter Familienmitglieder über den Umgang mit Erinnerung und die fortdauernde Diskriminierung seines Volkes.
In seiner Studie erläuterte Perle die enge Kooperation zwischen der Kriminalpolizei, die 1936 mit der Geheimen Staatspolizei in der Sicherheitspolizei zusammengelegt worden war, und den Hamburger Sozialbehörden. Schon 1934 begann die zentrale Erfassung der Sinti und Roma durch die Hamburger Fürsorgebehörde. Ziel war es, die staatliche Unterstützung einzuschränken und nach Möglichkeit ganz zu streichen. In den Nürnberger Rassegesetzen vom 15. September 1935 wurden die Sinti und Roma den Juden gleichgestellt und damit der späteren »Endlösung« zugeführt.
Perle konnte in seiner Recherchearbeit eine lokale Besonderheit korrigieren. So galt es bisher als sicher, dass die Hamburger, Bremer und schleswig-holsteinischen Sinti und Roma über den Hannoverschen Bahnhof deportiert wurden. Das sei historisch nicht mehr haltbar. Vielmehr wurden die Sinti und Roma im Mai 1940 im Fruchtschuppen C »zwischengelagert«, bevor sie in Zügen der Deutschen Reichsbahn in den Osten abtransportiert wurden. Dabei wurden die Betroffenen darüber getäuscht, dass es keine Rückkehr geben würde. »Ihr bekommt ein Stück Land zur Bearbeitung«, habe man den Deportierten gesagt, so Perle.
Dass die Diskriminierung und Ausgrenzung seines Volkes mit Kriegsende keineswegs beendet war und ist, darauf wiesen die Familienmitglieder Lolo Weiß, Matthäus Weiß und Oswald Weiß hin. So wurden Sinti- und Roma-Kinder in den Schulen bei Lernproblemen häufig in den »Gruppenraum« der Klasse abgestellt, wo sie – getrennt von den Mitschülern – malen »durften«. Und Lolo Weiß berichtete, dass die NS-Ärzte, die seine Eltern und Großeltern »behandelten« und die Kinder oftmals für medizinische Experimente missbrauchten, nach dem Krieg unbehelligt weiter praktizierten.
Schließlich fühlte Lolo Weiß den Veranstaltungsbesuchern auf den Zahn, indem er fragte, was sie bei dem Wort »Zigeuner« denken. »Fahrendes Volk«, hieß es da unter anderem. Falsch, stellte Weiß amüsiert klar: »Wir sind seit 600 Jahren sesshaft in Hamburg und leben seit 350 Jahren in Harburg und später auch in Wilhelmsburg (heute Hamburger Stadtteile; d. Red.).« Oswald Weiß erklärte, dass die »Respektlosigkeit gegenüber unserem Volk« andauere und mahnte: »Vergeben kann man vielleicht mit Gottes Hilfe, vergessen kann man aber nicht.«
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