Wäre nun 70: Joseph Brodsky

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Er litt darunter, dass es auch in seiner Muttersprache Russisch so natürlich geworden war, über das Böse in der Politik zu sprechen.

Er nannte seine sowjetische Geburtsstadt Leningrad, diese Unsterbliche, nur immer Sankt Petersburg: Als könne etwas, das überlebt, sonstwie – nur nicht nach Lenin heißen.

Er hat nie vergessen können, dass er mit sieben Jahren, für einen Schulbibliotheksantrag, seine jüdische Herkunft verleugnete: Als habe er immer daran denken wollen, dass die Geschichte des Bewusstseins dann beginnt, wenn man das erste Mal mal lügt.

Er mochte Eisenbahnzüge nicht: Als könnte jeder von ihnen der Zug der Zeit sein (die Revolution: Lokomotive der Geschichte!), diese Züge machten Station an Lagern; ihn selber schaffte man nach Archangelsk.

Er plädierte einmal für die Ersetzung des Staates durch die Literatur: Als würde es um das Leben auf der Erde besser bestellt sein, wenn wir Politiker aufgrund ihrer Lektüre gewählt hätten und nicht wegen ihres politischen Programms.

Er wünschte sich ein schnelles Sterben: Als wolle er davor fliehen, sich der Bedeutung des Todes bewusst zu werden.

Er war einer der großen Essayisten seines Jahrhunderts (Von Schmerz und Vernunft, Der sterbliche Dichter, Flucht aus Byzanz). Gestern wäre Nobelpreisträger Joseph Brodsky – der 1940 geboren, 1972 aus der Sowjetunion ausgebürgert wurde, in den USA lebte und 1996 starb – siebzig Jahre alt geworden.

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