Straftat Schulbesuch
In Brandenburg wurde einem iranischen Flüchtling sein Fleiß zum Verhängnis
Anfang Mai flatterte dem 27-jährigen Iraner Walid Rezaei (Name geändert) aus Hennigsdorf (Landkreis Oberhavel) ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Neuruppin ins Haus. Ihm wird angeboten, das Strafverfahren einzustellen, falls er 90 Euro Ordnungsgeld zahlt.
Die Straftat von Rezaei besteht darin, ein Jahr lang täglich zur Schule gefahren zu sein. Das Problem: Die Schule liegt in Berlin und Rezaei lebt als geduldeter Flüchtling in Hennigsdorf. Um in die Hauptstadt zu fahren, hätte er eine Erlaubnis der Ausländerbehörde gebraucht. Doch die wurde ihm verwehrt. »Es gab keine Notwendigkeit, denn der Mann hätte auch in Oranienburg zur Volkshochschule gehen können«, sagt Irina Schmidt, Sprecherin des zuständigen Landkreises Oberhavel.
Kein einziger Fehltag
Doch die Kurse in Oranienburg, in denen man den Schulabschluss nachholen kann, seien auf Menschen zugeschnitten, die am deutschen Schulsystem gescheitert sind und nicht auf bildungsorientierte Menschen aus anderen Kulturen, sagt Kay Wendel vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Die Oranienburger Ausländerbehörde handelt Wendel zufolge besonders streng. Selbst in jüngster Zeit, als die neue rot-rote Landesregierung längst die Abschaffung der Residenzpflicht auf ihre Fahnen geschrieben hatte, sei Flüchtlingen der Besuch im Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer und einem jungen Mann die Fahrt zum Vater verweigert worden.
Bevor Rezaei den Iran aus politischen Gründen verließ, hatte er dort ein mathematisch orientiertes Abitur abgelegt. Der Bildungsabschluss ist in Deutschland nicht anerkannt. Und so entschied sich Rezaei, in Deutschland einen erweiterten Hauptschulabschluss nachzuholen. Einen, in dem er in Mathematik und Naturwissenschaften nur Prüfungen abzulegen brauchte, weil er das Wissen längst hatte, und wo er hauptsächlich Deutsch und Englisch lernte.
Im April hatte der Iraner von der Härtefallkommission des Landes Brandenburg ein Bleiberecht aus humanitären Gründen bekommen. Die Kommission würdigte seine familiären Bindungen in Hennigsdorf, wo seine Mutter lebt, die ihre politische Verfolgung durch das Teheraner Regime nachweisen konnte. Und die Kommission würdigte Rezaeis Integrationsleistung. Um diese nachzuweisen, hatte der Iraner einen ganzen Aktenordner voller Dokumente eingereicht. So engagiert er sich regelmäßig ehrenamtlich bei der Säuberung des Flughafensees in Berlin-Tegel und wurde von der Flüchtlingsgruppe »Jugendliche ohne Grenzen« zum Landessprecher in Brandenburg gewählt.
Das ebenfalls eingereichte Schulzeugnis aus Berlin wurde ihm allerdings zum Verhängnis. Die Ausländerbehörde entnahm daraus, dass er trotz behördlicher Versagung die Schule in Berlin besucht hatte und zeigte ihn an. Sie hatte sogar recherchiert, dass der Iraner täglich die Schule besuchte und keinen einzigen Fehltag hatte. Das war besonders verwerflich, zeigte es doch die Regelmäßigkeit der Residenzpflichtverletzung. »Wenn wir wissen, dass jemand massiv, wissentlich und über einen längeren Zeitraum Straftaten begangen hat, können wir darüber nicht hinwegsehen«, begründet Irina Schmidt das Vorgehen. »Da waren wir von Amts wegen zur Anzeige verpflichtet.«
Streit um den Ermessensspielraum
Mit dieser Auffassung steht der Landkreis allerdings allein. Die Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato (LINKE) betont: »Die Ausländerbehörde hätte einen Ermessensspielraum gehabt.« Aber selbstverständlich sei die Anzeige legal gewesen. »Wir wollen im Land Brandenburg zwar die Residenzpflicht abschaffen. Aber das geht nur durch Änderung des Bundesrechtes. Und wir können die Landkreise nicht anweisen, ein Bundesgesetz zu ignorieren.«
Auch die Staatsanwaltschaft Neuruppin sah das Vergehen des Mannes als minder schwer an. Die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße ist die mildeste Sanktion, die das Gesetz vorsieht. Möglich wäre sogar auch eine Haftstrafe gewesen.
Ob er die Geldbuße zahlt, hat Walid Rezaei noch nicht entschieden. Darüber will er mit einer Anwältin beraten. »Mir geht es nicht um das Geld. Ich will kämpfen, damit auf anderen Flüchtlingen nicht dieser Druck der Residenzpflicht lastet«, sagt er.
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