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Bilanz
Postcard to Daddy
Wer schreibt heute noch Postkarten? Die »Postcard to Daddy« im Titel von Michael Stocks Dokumentarfilm ist denn auch keine auf Papier, sondern der auf Video festgehaltene Versuch des Regisseurs, sich von dem großen Trauma seiner Jugend zu befreien: dem jahrelangen sexuellen Missbrauch durch den eigenen Vater. Gehört so ein Stoff in die Öffentlichkeit der Kinoleinwand?
Wen die Flut der »reality shows« im Fernsehen noch nicht völlig skrupel-los gemacht hat, verspürt wohl in den ersten zehn Minuten von Stocks Film den Drang, sich diskret aus dem Kino und der ihm zugemuteten Voyeursrolle zu stehlen. Er sollte diesem Drang widerstehen. Denn was folgt, hat mit Schlüssellochgucken und Peinlichkeiten nicht das Geringste zu tun – und noch weniger mit aggressivem Rachedurst, den man dem Opfer der Taten wohl nachsehen würde.
Stocks Mutter und Geschwister, jahrelang nichts ahnend, haben radikal mit dem Ernährer der Familie gebrochen. Michael dagegen zieht mit seinem Film über eine lange Thailand-Reise mit seiner Mutter eine Bilanz seines inzwischen auch von Aids bedrohten Lebens, deren Sachlichkeit schier unglaublich ist und seinem Film trotz gelegentlicher Längen einen ungeheuren Spannungsbogen gibt.
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