E-Mail vom Ex-Prof

Deutsche Unis umgarnen ihre ehemaligen Studenten / Ziel: Mitteleinwerbung

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen unterhalten mittlerweile viele deutsche Universitäten ein Netzwerk für ehemalige Studierende. Der Aufwand, um an die Daten dieser sogenannten Alumni zu gelangen, ist hoch und umstritten.

Es ist sicherlich sehr ungewöhnlich, Jahre nach dem Studienabschluss vom Ex-Prof eine E-Mail zu erhalten – umso mehr, wenn es sich dabei um eine Einladung handelt. Carmen Brusch ist das aber vor einigen Jahren passiert. Die Mathematikerin, die mittlerweile für eine große Bank arbeitet, wurde per Mail auf eine Veranstaltung für Ehemalige der Universität Frankfurt am Main aufmerksam gemacht. Sie ging hin und ist seitdem Mitglied im Ehemaligen-Netzwerk. Darin ist sie zwar nach eigener Aussage nicht aktiv, findet dieses Netzwerk und die damit zusammenhängenden Veranstaltungsangebote aber prinzipiell gut.

Damit liegt Brusch im Trend. Die Organisierung der »Alumni« genannten ehemaligen Studierenden erfreut sich in Deutschland wachsender Beliebtheit – vor allem bei den Hochschulen selbst. Sie reagieren damit auf die Notwendigkeit, verstärkt selbst Geld einzuwerben, wie im Abschlussbericht des Vorsitzenden der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) von 2001 nachzulesen ist. Schon 1997 hatte die HRK einen Grundsatzbeschluss zu dem Thema gefasst. Darin werden verschiedene Mittel der Werbung um die Zuneigung der Studierenden behandelt, da letztere nach dem Studium bei der »zukunftsorientierten Außendarstellung der Hochschule« helfen und sogar direkt »finanzielle Unterstützung der Hochschule bei besonderen Projekten« (bis hin zu »Baumaßnahmen») bewirken könnten.

1997 mahnte die HRK ihre Mitglieder noch sich an Privathochschulen im In- und Ausland zu orientieren. Mittlerweile gibt der Dachverband der mit Ehemaligen-Arbeit betrauten Hochschulstellen an, in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits über 400 Mitgliedsinstitutionen zu haben. Ralf Alberding von der HRK erklärt auf Nachfrage: »Ich habe den Eindruck, dass die meisten Hochschulen so etwas haben«, seien es studentisch, oder von der Verwaltung angestoßene Vereinigungen, auf Fachbereichsebene oder gesamtuniversitär. Sichtbar sei das beispielsweise am gehäuften Aufkommen von Stellenanzeigen für die Ehemaligen-Verwaltung, »manchmal in Verbindung mit Career-Service- und Fundraising-Teams«.

Fundraising, also Mitteleinwerbung, hat auch der hessische Regionalverband der Ehemaligenbetreuungs-Stellen im Sinn. Er trägt den nicht unbescheidenen Namen ALFA, was für »Alumni- und Fundraising-Arbeit« steht, wie Lucia Lentes verrät. Lentes ist seit fünf Jahren an der Uni Frankfurt für den Aufbau der Ehemaligen-Arbeit zuständig. ALFA sei entstanden, als das hessische Hochschulministerium 2007 eine einwöchige Reise in die USA finanzierte, wo sich hessische Ehemaligen-Beauftragte die entsprechende Arbeit mehrerer Unis in New York und Wisconsin vorführen lassen konnten. Im Internet-Auftritt des Dachverbandes (www.alumni-clubs.net) ist über das hessische Netzwerk zu lesen: »Durch die Arbeit von ALFA Hessen kann sich eine gemeinsame Positionierung der hessischen Hochschulen im nationalen wie im internationalen Hochschulmarkt entwickeln.«

Die Bemühungen zumindest der Uni Frankfurt sind aber nicht nur von Erfolg gekrönt. Gut angenommen werde laut Lentes der seit Dezember 2007 vierteljährlich verschickte Infobrief »Einblick«. In der letzten Ausgabe wurde die Zahl der postalisch verschickten Exemplare mit 13 000 angegeben, genau so viele seien es digital. Lentes spricht von insgesamt 30 000 »Kontakten«, die ihr Büro zu Ehemaligen habe. Dazu können laut Internetauftritt übrigens alle Menschen zählen, die jemals an der Uni Frankfurt »studiert, gearbeitet oder geforscht« haben.

Weniger gut hat sich die Internet-Komponente des »Alumni-Netzwerks« eingeführt, wie Lentes zugibt. In dieser Datenbank, wo sich Ehemalige wie Studierende präsentieren können, seien zwar mittlerweile 3000 Personen eingetragen. Doch gibt es fast keinerlei Online-Aktivität. So hält die Jobbörse kaum Angebote bereit. Selbst Stellen, für die die Bewerbungsfrist schon 2008 auslief, sind noch annonciert. Das im Oktober 2008 gestartete Forum ist ebenfalls so gut wie unbenutzt.

Für den Bezug des Infobriefs genügt ein Antwortschreiben – die Frankfurter Koordinationsstelle macht sich nämlich eine Riesen-Arbeit mit der Ausfindigmachung und Ansprache von Ehemaligen. Ausgehend von der jeweils letzten bei der Uni vorliegenden Anschrift wird durch Anfragen bei den betroffenen Meldeämtern die innerdeutsche Migration der Ex-Studierenden nachvollzogen, um sie zu fragen, ob sie ins Netzwerk wollen. Diese »sehr aufwändige Recherche« (Lentes), die mit den Abschlussjahrgängen 1990 bis 1995 begonnen habe, ist völlig legal und sogar über von Bundesländern unterhaltene (kostenpflichtige) Internetportale möglich. Der mit der Suche verbundene »hohe finanzielle Aufwand« wird laut Lentes von der »Vereinigung von Freunden und Förderern« der Uni getragen, die übrigens auch die Druckkosten des Infobriefs finanziert. Auch andere hessische Hochschulen gingen so vor, insgesamt aber sicherlich nicht viele, schätzt Lentes.

Problematisch ist der Umgang mit den vielen Ehemaligen-Daten in anderer Hinsicht. In das Internet-Netzwerk kann sich nämlich eintragen, wer will. Zwar heißt es daraufhin in einer ersten E-Mail, die gemachten Angaben würden überprüft, doch wird der Zugang wenige Tage später auch bei frei erfundenen Namen und Studienzeiten gewährt. Lentes dazu: »Wir wollen nicht so restriktiv sein. Wir haben auch gar nicht die Manpower dafür.«

Nun gehen viele der Registrierten aber offensichtlich davon aus, dass der Zugang restriktiver gehandhabt wird als bei anderen, unspezifischen Internet-Datenbanken. Carmen Bruschs Privatanschrift etwa findet sich nicht im Telefonbuch, ebensowenig die von Claus Abb oder die Handynummer von Alexander Binz, zwei Frankfurter Bankern in relativ hohen Positionen, die die Anzeige dieser Daten auch in ihren Profilen bei der Internet-Karriereplattform Xing unterdrücken. Die Genannten geben sich – wie übrigens auch andere Registrierte – auf ND-Anfrage prinzipiell gleichgültig bezüglich der Offenheit ihrer Daten, doch bei Binz findet sich schon ein Anhaltspunkt dafür, dass das nicht ganz gerechtfertigt ist. Auf die Frage, ob ihn die Einsehbarkeit seiner Daten angesichts des in den letzten Jahren populärer gewordenen Themas Datenhandel bzw. -missbrauch nicht störe, entgegnet er: »Mich rufen sowieso alle möglichen Leute an und wollen mir was verkaufen«, und gibt zu: »Es stört mich unwahrscheinlich, wenn ich für Werbezwecke kontaktiert werde.«

Gerade in dieser Hinsicht ist die Frankfurter Ehemaligen-Datenbank durchaus reizvoll. Die Profile können nämlich einer Orts- und Volltextsuche unterzogen werden, die dahinter stehenden Personen also nach Merkmalen gruppiert werden. Zwar sind die Ergebnisse eher mau – so bringt eine Suche nach »BWL« nur 62 Ergebnisse –, doch das wird sich mit der Zeit ändern. Falls mehr Unis so lax mit dem Zugang zu persönlichen Daten umgehen, und sich das herumspricht, werden die entsprechenden Portale bald auch für den kommerziellen Datenhandel interessant.

Lucia Lentes wiegelt ab – merkwürdigerweise mit einem Argument, das erst recht alarmierend sein sollte: »Die Unehrlichen gibt es auch unter den Absolventen.« So habe es schon bei der knapp 5000 Personen umfassenden Gruppe der Frankfurter Uni-Ehemaligen bei Xing den Versuch gegeben, persönliche Daten für Direktmarketing zu verwenden. Lentes sieht die Sache noch aus einem anderen Grund nicht so eng: Um mitzubekommen, was dort so gemacht wird, ist sie selbst Mitglied in mehreren Ehemaligen-Netzwerken, mit denen sie eigentlich nichts zu tun hat.

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