Revolution auf dem Acker

Wie risikoreich ist die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft?

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 6 Min.
Revolution auf dem Acker

»So sehr wir auch von den Früchten der Wissenschaft profitieren, so sind wir doch keine von der Wissenschaft geprägte Kultur«, urteilte der amerikanische Psychologe Anthony R. Pratkanis unlängst mit Blick auf den neuerlichen Boom der Esoterik. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Auch die Wissenschaft selbst gerät zunehmend in die Kritik, wobei weite Teile der Öffentlichkeit vor allem in den modernen Technologien eine »Bedrohung der Menschheit« erblicken.

Diese Entwicklung hat eine lange Tradition, wie das Beispiel der ersten Eisenbahnen zeigt, deren »Höllentempo« von 20 Stundenkilometern viele Menschen in Angst und Schrecken versetzte. Noch im Jahr 1861 warnte das britische Medizinblatt »The Lancet« seine Leser, dass Zugfahren zu Schwindelanfällen, Kopfschmerzen, Gallenleiden und sogar Lähmungen führen könne. Heute stehen unter anderem der sogenannte Elektrosmog und das Handy in Verdacht, die Gesundheit von Menschen zu gefährden. Sollte es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Handynutzung und Krebsentstehung geben, ist dieser allerdings so schwach, dass Hunderte von Studien nicht ausgereicht haben, ihn zweifelsfrei nachzuweisen. Gleich- wohl reißen die Warnungen vor dem Gebrauch des Mobiltelefons nicht ab. Und oft werden sie von Leuten vorgebracht, die selbst gar nicht daran denken, auf ihr Handy zu verzichten.

Auch über die Vorzüge und Risiken der Gentechnik wird in unserer Gesellschaft seit Jahren heftig gestritten. Und die Zahl der Verbraucher, die im Supermarkt ausschließlich »gentechnikfreies« Obst oder Gemüse einzukaufen wünschen, wächst stetig. Nun ist eine anfängliche Skepsis gegenüber neuen Produkten durchaus sinnvoll. Nur leider werde diese oft benutzt, um die Öffentlichkeit durch angsteinflößende Schlagworte und Szenarien zu manipulieren, meint der Erlanger Biologe Johannes Bergler und wirbt für mehr Aufklärung in Sachen Gentechnik. Denn: »Ist ein schlechtes Image erst einmal etabliert, lässt es sich mit rationalen Argumenten nur schwer berichtigen.«

Im Grunde beginnen die Missverständnisse schon bei der Frage: Was ist Gentechnik überhaupt? Darauf könnte man kurz antworten: Gentechnik ist ein Versuch, durch Veränderungen des Erbmaterials die Eigenschaften von Lebewesen gezielt zu verändern. Für nicht wenige Menschen stellt diese, wie sie glauben, völlig neuartige Verfahrensweise einen durch nichts legitimierten Eingriff in die Schöpfung dar. Darauf wäre erstens zu entgegnen, dass es ohne »Eingriffe in die Schöpfung« heute keine Impfstoffe, keine gentechnisch hergestellten Medikamente, keine Transplantationsmedizin gäbe – mit Folgen, die sich jeder selbst ausmalen mag. Zweitens ist der Ansatz der Gentechnik keineswegs neu. Vielmehr greift der Mensch schon seit Jahrtausenden in das Erbgut von Tieren und Pflanzen ein, um davon ausgehend neue Rassen und Sorten mit gewünschten Eigenschaften zu züchten. So geht die ganze Vielfalt an Kohlsorten (Brokkoli, Blumenkohl, Wirsing, Rosenkohl, Kohlrabi etc.) auf eine einzige Wildform zurück, den Gemüsekohl. Auch zahlreiche Hunderassen haben mit ihrer Wildform, dem Wolf, kaum noch Ähnlichkeiten. Man denke nur an den Mops, die Bulldogge oder den Pudel, die, wären sie von einem Gentechniker »geformt« worden, kaum so viele Liebhaber finden dürften.

Nachdem es Wissenschaftlern gelungen war, die Struktur des Erbmoleküls DNA zu enträtseln, gingen manche Pflanzenzüchter sogar dazu über, Samen mit erbgutverändernden Chemikalien oder Strahlen zu behandeln. Die dabei erzeugten konventionellen Sorten werden heute in der Landwirtschaft eingesetzt und in Gartencentern verkauft, obwohl niemand weiß, auf welchen Mutationen sie beruhen. Bekannt hingegen ist, dass viele Zuchtpflanzen ihre Resistenz gegenüber Krankheiten und Schädlingen verloren haben. Um etwa der gefürchteten Knollenfäule bei Kartoffeln vorzubeugen, werden Fungizide eingesetzt, von denen manche für Fische und Wasserinsekten hochgradig giftig sind. Dennoch ist es verboten, zum Schutz vor Knollenfäule das Resistenzgen der Wildkartoffel auf die Zuchtkartoffel zu übertragen.

Mehr noch gilt der Transfer von Genen über die Artgrenzen hinweg unter Gentechnik-Kritikern als wahrer Sündenfall. Denn so etwas komme in der Natur nicht vor, heißt es. Dem widerspricht Bergler entschieden und betont, dass es sogar in uns Menschen etliche Gene gebe, die zum Beispiel von Viren herrührten: »Unser Genom besteht zu knapp 25 Prozent aus inaktiven Resten von diversen Viren und Retroelementen, die im Laufe der Jahrmillionen unsere Vorfahren befallen haben.«

Gentechnisch veränderte Pflanzen können jedoch Allergien auslösen, lautet ein weiterer Einwand gegen die Grüne Gentechnik. Das ist in einzelnen Fällen sicherlich zutreffend. Allerdings liegt im Vergleich dazu die Zahl der Allergie auslösenden Proteine in exotischen Obst- oder Gemüsesorten deutlich höher. Und niemand käme deswegen auf die Idee, die Einfuhr von Mangos, Roten Bananen, Kaktusfeigen oder Erdnüssen zu verbieten.

Auch das Argument, genveränderte Pflanzen würden sich rasch unkontrolliert ausbreiten, beruht auf einer Verkennung der Tatsachen. Derzeit sind es nämlich vor allem importierte Zierpflanzen, die zur ökologischen Plage werden, etwa der Riesenbärenklau. Allein die Berührung dieser meterhohen Pflanze, die hierzulande fast überall in rauen Mengen wächst, kann schwere Verbrennungen hervorrufen. Deshalb ist bei ihrer Beseitigung Schutzkleidung vorgeschrieben.

Dagegen finde man Maispflanzen oder Weizenhalme so gut wie nie in freier Wildbahn, erklärt Bergler: »Die meisten unserer Nutzpflanzen sind an die Bedingungen auf dem Feld derart angepasst, dass sie schon zwei Meter neben dem Acker kaum überleben, geschweige denn dem Konkurrenzdruck durch andere Arten dauerhaft standhalten.« Das gilt mehr noch für genveränderte Nutzpflanzen. Denn wären deren Eigenschaften in freier Natur von Vorteil, hätten die Wildformen sie wohl längst von selbst entwickelt. Auch die Befürchtung, einmal angebaute »Gen-Pflanzen« könnten nie mehr ganz entfernt werden, ist nicht zwingend, wie ein Fall aus den USA belegt. Dort ist der sogenannte StarLink-Mais, den die Erzeugerfirma im Jahr 2000 freiwillig vom Markt genommen hat, seit 2004 selbst mit hochempfindlichen Testmethoden nicht mehr nachweisbar.

Nun soll hier gar nicht bestritten werden, dass die Gentechnik, wie übrigens jede Technologie, unkalkulierbare Risiken birgt. Sie aber deswegen zur Gefahr für die Menschheit hochzustilisieren, wie es bisweilen geschieht, hält Bergler für nicht statthaft. Zumal viele Probleme, die man genveränderten Pflanzen anlastet, auch und manchmal sogar gehäuft bei konventionellen Pflanzen auftreten.

Um es noch einmal hervorzuheben: Die Gentechnik ermöglicht die gezielte Entwicklung von Nutzpflanzen, die vor Schädlingen und Krankheiten gefeit sind, Hitze und Kälte überstehen, und denen auch Bodenversalzung oder Nährstoffarmut nichts anhaben können. Manche Menschen mögen dies vielleicht für so unheimlich halten, dass sie alles Gentechnische ablehnen. Nur: Wer den Einsatz von gesundheitsschädlichen Pestiziden in der Landwirtschaft verringern und den Hunger in großen Teilen der Welt wirkungsvoll bekämpfen möchte, wird nicht umhin können, die Chancen der Gentechnik neu und vorurteilsfrei zu bedenken. Im Grunde geht es nicht darum, alles gentechnisch Machbare sogleich in die landwirtschaftliche Praxis zu überführen. Dort sollten nur jene Methoden Anwendung finden, die sich nach eingehender Prüfung als relativ risikoarm erwiesen haben. Denn eine Zukunft ganz ohne Risiken wird es leider nicht geben.

Johannes Bergler: Grüne Gentechnik. Eingebildete Gefahren. In: Skeptiker. Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken. Heft 1/2010

www.skeptiker.de

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