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Für jeden Fiebergrad tausend Mark

Berliner Ensemble: Gert Voss und Peter Simonischek lasen Briefwechsel von Siegfried Unseld und Thomas Bernhard

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 6 Min.

In die Poesie gehört die Ökonomie, in die Phantasie die Realität, in das Schöne das Grausame, Hässliche, Fürchterliche beigemischt.
THOMAS BERNHARD

Ich kann nicht mehr«, telegrafiert am 24. November 1988 Siegfried Unseld an Thomas Bernhard, die Grenze seiner Geduld angebend und enttäuscht von der Vertragsuntreue des Dichters und dessen fortgesetzter Unlauterkeit dem Verleger gegenüber. Der eigensinnig Selbstbezogene, auf den Tod erkrankte Bernhard blitzt umgehend zurück: »Wenn Sie, wie Ihr Telegramm lautet, nicht mehr ›können‹, dann streichen Sie mich aus Ihrem Verlag und aus Ihrem Gedächtnis. Ich war sicher einer der unkompliziertesten Autoren, die Sie jemals gehabt haben.« Wenige Wochen nach dem letzten schriftlichen Schlagabtausch in dieser über ein Vierteljahrhundert währenden spannungsreichen Verbindung stirbt Bernhard, ein Versöhnungstreffen hatte es zuletzt noch gegeben.

Eine Tour de force ist zu Ende. Eine reale, und hier: eine des Zitierens, des Nachspielens: in einer Gastvorstellung an Claus Peymanns Berliner Ensemble. Das wissende Auflachen des Publikums, als es »einer der unkompliziertesten Autoren« heißt, geht über in herzlichen Applaus für die Lesung aus dem Briefwechsel zwischen dem Schriftsteller und seinem Verleger – ein Beifall, der nicht nur der Inszenierung des Abends gilt, sondern eine Hommage ist für die Burgtheater-Schauspieler Gert Voss und Peter Simonischek.

Voss spricht den Kaufmann, Simonischek den Künstler. Voss mit blauem Einstecktüchlein am Jackett: der kühl Besonnene, Simonischek mit rotem: der nervös Heftige. Jeder an einem schmalen, schmucklosen Schreibtisch, darauf die Manuskripte. Der weite Abstand der Tische, an den Bühnenseiten aufgestellt, gibt das Maß an von Respekt im Umgang miteinander, die Spanne in einem Abhängigkeitsverhältnis und: die räumliche Entfernung – zwischen Frankfurt am Main und Wien bzw. Gmunden, dem »Vierkanthof« Bernhards in Ohlsdorf.

Knapp zwei Stunden Vortrag, der Chronologie des Schriftwechsels folgend, der 2009 bei Suhrkamp erschien. 524 Briefe, Telegramme und andere Schreiben sowie Anmerkungen mit Rückgriffen auf Unselds tagebuchartige Notizen, veröffentlicht auf mehr als 800 Seiten. Voss und Simonischek mit einem Extrakt auf Tournee: ein einzigartiges Beziehungsdrama.

Es beginnt mit einer »Erpressung«, wie Bernhard, frohlockend, später selbst gestand. 1965, der Schriftsteller hatte eben für seinen ersten Roman, »Frost«, den Bremer Literaturpreis erhalten, bestimmte er die erste, kurze Begegnung. Er forderte vom – gesundheitlich angeschlagenen – Verleger 40 000 Mark Vorschuss. Unseld hatte, heißt es, 40 Grad Fieber, und er gewährte »für jeden Fiebergrad tausend Mark«.

Um Geld wird es immer wieder gehen, um Darlehen, Honorare, Schulden, Verkaufszahlen, Erscheinungstermine, denn das Geschäftemachen sei für ihn »wenigstens so schön ... wie Schreiben«, wie Bernhard im ersten Hochgefühl – nicht ohne feine Ironie – bemerkt. Mal schickt er einen Dank, selbstredend mit eindringlichem Unterton, Unseld habe ihm »mit dreitausend Mark ein Netz gespannt« über dem Abgrund, an dem er lebe. Vier Jahre darauf – nach kommerziellem Misserfolg des Romans »Verstörung« und Mahnung Unselds, »nur neue Bücher können Ihre Situation ändern« –, doppelt im Stolz verletzt, behauptet er in vorgespiegelter Souveränität: Geld sei ihm lästig, er »brauche nur das Nötigste«. Nötig hatte er nicht gerade wenig. Es war oftmals aber auch nicht viel, was er bekam, ja, es waren Jämmerlichkeiten. Zweitausend Mark, empört sich Bernhard, wie sie ein Mann bekommt, »der im Steinbruch Lastwagen zählt«. Unseld zu sich einladen hieß bei Bernhard daher, der solle »mit gefüllten Hosentaschen« kommen. Darauf der Menschenkenner ohne Gönnerattitüde wiederum, den Ton zu seinen Gunsten stimmend: Ich komme, "mit gefüllten Hosentaschen wie immer".

Unseld, mit seinem Lebenswerk die Ausnahmeerscheinung unter den Verlegern, Partner der Autoren, sie durch Vertrauen anfeuernd, auf sie setzend und nicht so sehr auf den einzelnen Titel, hatte dem jungen Österreicher von Anfang an versprochen, bei ihm werde er »nicht übers Ohr gehauen«. Sein stets befolgtes Credo: Als Verleger habe er dafür zu sorgen, dass der Autor »gute Arbeitsmöglichkeiten« habe. Doch musste er, letztlich auch im Interesse der Schreibenden, »darauf achten, dass das Schiff in Fahrt bleibt«. Und er blieb stets ein Steuermann mit außerordentlichem Einfühlungsvermögen in seine Autoren, unter denen, neben Wolfgang Koeppen und Uwe Johnson, Thomas Bernhard einer der schwierigsten war.

Auf dessen Hyperventilieren reagiert er mal mit Bedacht schmeichelnd durch den Vergleich mit Nobelpreisträger Samuel Beckett und – ganz besonders gleichrangig – Franz Kafka, mal mit leichtfederndem Druck. Beständig muss er Konfliktentschärfer sein, und er argumentiert mit der Eleganz eines erfahrenen Diplomaten, mit glücklich dosiertem Humor, er findet salbungsvolle Trostworte, so, als sorge er für ein krankes Kind, er befördert Schaffenskraft mit Rücksichtnahme bis hin zur Selbstverleugnung (»Der Kalender des Autors ist mir wichtiger als der eigene«). Was Unseld mit Bernhard verband, es war mehr als eine notgedrungene Geschäftsmäßigkeit, es war Freundschaft.

Und damit eine über die Jahre fortwährende Wechselfolge von Annäherung und Distanzierung. So notiert er »angenehme Begegnungen«, und dass es mal nicht um Finanzielles ging, Bernhard von seiner Familie erzählt habe, und im Brief redet er ihn nachgerade mit »Thomas« an. Unseld hält nach anfänglicher Reserviertheit stets zu Bernhard, dem immer mehr in die Öffentlichkeit – und damit in die Kritik – Gerückten, der seine Dünnhäutigkeit mit funkelnden Schimpfkanonaden abpolsternden, kokett selbstmitleidig, ernsthaft eifersüchtig und anerkennungshungrig. Ob es nun darum geht, dass Bernhard bei der Verleihung des Österreichischen Staatspreises mit seiner Dankesrede seine Landsleute beleidigt, ob es der Skandal um die Uraufführung des Stückes »Der Ignorant und der Wahnsinnige« in Salzburg ist oder die tumultösen Ereignisse um die Wiener Aufführung von »Heldenplatz« sind.

Der geschickt nachsichtige wie energische Verleger mit dem großen Atem und andereseits der um Atemluft, um sein Leben ringende Künstler, dessen »einziges Vergnügen« es war, sich »alles schwer und schwerer zu machen« – ihr Drama: ein Spiel der Gegensätze. In dem beide gewannen.

Gert Voss und Peter Simonischek geben Wort um Wort als Blick in die Seele. Als Annäherung. Voss, der sich, vom Papier aufblickend, immer wieder dem Angesprochenen zuwendet, bietet vielfältigste Nuancen der Diktion, die Sätze sparsam gestisch begleitend. Mitten hinein lässt er das Messersschneidenscharfe seiner Stimme beherrscht ins Milde gleiten oder, ein andermal, löst er fürsorglich Gebremstes, und offenbar wird Unselds natürliches Temperament, die Ungeduld.

Simonischek, mit österreichischem Akzent per se der »Rolle« des Bernhard nahe, nutzt die Wirkung des besonderen sprachlichen Stils von Bernhard, dessen spiralige Steigerungen, seinen Attackenfuror, die schillernde Lakonie. Und er ruht auf seinem Stuhl als der um seinen Wert wissende Taktierer. Voss, Simonischek, Unseld, Bernhard – eine großartige Miniatur Kulturgeschichte.

Thomas Bernhard / Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. Raimund Fellinger, Martin Huber, Julia Ketterer. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 869 Seiten, geb., 39,80 Euro.

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