Kirchenstreit an der Autobahn
In Bayern soll an der A 9 ein neues Gotteshaus entstehen. Am falschen Platz, sagen Kritiker
Trockau. Wuchtiger Turm, mächtiges Kirchenschiff: Wer auf der Autobahn A 9 Nürnberg-Berlin den Landkreis Bayreuth durchquert, kann die Kirche der Ortschaft Trockau nicht übersehen. Das 1950 erbaute katholische Gotteshaus liegt direkt an der Autobahn. Diesen Standort wollen der Pfarrer und die Gemeindemitglieder nun nutzen und ihre Kirche offiziell zur Autobahnkirche erklären lassen. Hinweisschilder an der Autobahn würden dann Reisende, Pendler und Fernfahrer zur spirituellen Rast in Trockau einladen.
Die evangelische wie die katholische Kirche haben ihre Zustimmung zu diesem Vorhaben bereits gegeben. Auch im Berliner Verkehrsministerium und im bayerischen Innenministerium findet die Idee großen Anklang – doch es gibt ein Problem: Nur 35 Kilometer nördlich liegt – ebenfalls direkt an der A 9 – die bekannte Autobahnkirche Himmelkron.
80 Kilometer Abstand
In Bayern gibt es gerade einmal sechs Autobahnkirchen, deutschlandweit 36. Damit sich eine Kirche offiziell Autobahnkirche nennen darf, muss sie Kriterien erfüllen, die die Konferenz der Autobahnpfarrer aufgestellt hat. Eine Vorgabe lautet: Zwischen zwei Autobahnkirchen müssen mindestens 80 Kilometer liegen. »Und dieses Kriterium erfüllt Trockau nicht. Deshalb kann Trockau keine Autobahnkirche sein«, sagt der für die Himmelkroner Autobahnkirche zuständige Pfarrer Peter Klamt. Rund 100 000 Besucher zählt er jährlich in seinem modern gestalteten Gotteshaus am Fuße des Fichtelgebirges. »Ich frage mich wirklich, ob es sinnvoll ist, innerhalb einer so kurzen Strecke gleich zwei Autobahnkirchen zu haben – und bis München gibt es dann nichts mehr.«
Im Juli will die Konferenz der Autobahnpfarrer, die von der Akademie Bruderhilfe-Pax-Familienfürsorge in Kassel koordiniert wird, über den Antrag aus Trockau abstimmen. Von dieser Entscheidung hängt ab, ob die »Erhebung zur Autobahnkirche«, so nennt das Verkehrsministerium den Vorgang offiziell, tatsächlich durchgeführt werden kann. Der Trockauer Pfarrer Josef Hell will erreichen, dass sich seine Kirche trotz des Verstoßes gegen den Kriterienkatalog Autobahnkirche nennen darf.
Stark frequentiertes Kreuz
Denn schließlich liege, sagt Hell, zwischen Trockau und Himmelkron das Autobahnkreuz Bayreuth-Kulmbach, das die A 70 mit der A 9 verbindet: Autofahrer, die von der A 70 nordwärts weiterfahren, kämen gar nicht an Trockau vorbei, Fahrer, die Richtung Süden unterwegs sind, wiederum nicht an Himmelkron.
Die Trockauer Kirche St. Thomas von Aquin könne viele Menschen zu einer kleinen Auszeit im hektischen Straßenverkehr einladen. Deshalb dürfe man nicht so starr an den Vorgaben festhalten, sagt Hell. »Man soll Inseln der Ruhe anbieten. Schaden würde eine Autobahnkirche nicht, aber sie könnte vielen nützen.« Als Notfallseelsorger ist er oft mit dabei, wenn schlimme Unfälle auf der sechsspurigen Hochgeschwindigkeitsstrecke passieren. Deshalb soll seine Kirche die Fahrer zu ein paar Minuten Ruhe, zu einem kurzen Gebet um eine gute Weiterfahrt oder zum Anzünden einer Kerze einladen, wünscht er sich. Denn, das betont Günter Lehner, Geschäftsführer der Bruderhilfe-Akademie, ein großes Programm erwarten die Autofahrer meist nicht, die eine Autobahnkirche aufsuchen. »Die Menschen schätzen die Stille.«
Rund eine Million Menschen besuchen in Deutschland jährlich eine Autobahnkirche, sagt Lehner. Geht es nach Pfarrer Hell und seiner Kirchenverwaltung, sollen auch bald viele Besucher nach Trockau in die Kirche kommen. Es gebe Parkmöglichkeiten auf dem Kirchplatz, einen behindertengerechten Eingang und Toilettenanlagen. Dass tägliche Öffnungszeiten von mindestens 8 bis 20 Uhr gewährleistet sein müssen und zusätzliche Energiekosten anfallen werden – auch darauf sei man bereits eingestellt, betont der Geistliche: »Da habe ich keine Bedenken.« Allerdings muss er noch das Votum der Autobahnpfarrer abwarten.
Eine Autobahnkirche soll Fahrer auf der Autobahn zu einer Auszeit einladen. Deutschlands älteste Autobahnkirche steht in Adelsried (Landkreis Augsburg) an der A 8. Seit 1958 können Menschen hier beten, die Stille genießen, eine Kerze anzünden oder sich in ein Buch voller Bitten, Gebete und Dankesworte eintragen. Viele Kirchen werden ökumenisch betreut. Eine Autobahnkirche darf höchstens einen Kilometer von einer Autobahnausfahrt entfernt sein, man benötigt die Zustimmung des Bundesverkehrsministeriums. Es müssen ausreichend Parkplätze vorhanden sein, desgleichen ein behindertengerechter Eingang und sanitäre Anlagen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.