Nur die Tradition ist geblieben
Die fränkische Stadt Würzburg feiert 1000 Jahre Fischerzunft, doch die Fischer fehlen
Hunderte Angelruten säumen in Würzburg die Ufer des Mains längst nicht mehr. Der Fluss ist heute eine vielbefahrene Wasserstraße, der Fischfang hat seine wirtschaftliche Bedeutung verloren. Der letzte Berufsfischer hat schon vor Jahren aufgegeben. Doch die Würzburger Fischerzunft, die Vereinigung der Berufsfischer in der Domstadt, gibt es weiterhin. Während viele Zünfte in Deutschland und Europa schon lange verschwunden sind, feiert sie in diesem Jahr ihr 1000-jähriges Bestehen. Bis heute kümmern sich 38 Mitglieder des Handwerkerbundes um den Main, achten auf den Fischbestand und pflegen das Brauchtum. Mit 1000 Jahren Geschichte ist die Zunft eine der ältesten in Deutschland – auch ohne hauptberufliche Fischer.
In Europa gibt es Zünfte seit dem Mittelalter. Niemand beaufsichtigte damals das Wirtschaftsleben in den Städten, daher entstanden die Vereinigungen. »Die Obrigkeit war nicht in der Lage, das Handwerk und das Gewerbe zu kontrollieren«, erklärt Arnd Kluge, Historiker und Verfasser des Buches »Die Zünfte«. Wo immer Zünfte im 11. und 12. Jahrhundert sich gründeten, begannen sie Preise zu regeln, den Zugang zum Handwerk zu beschränken und Qualitätssicherung zu betreiben. »Nur wer Zunftmitglied war«, berichtet Kluge, »durfte einen Beruf ausüben.« Neben Zünften für Fischer, Goldschmiede und Maurer gab es zahlreiche weitere. Sogar Bettler und Prostituierte organisierten sich auf diese Weise.
In Würzburg übertrug der Fürstbischof im 11. Jahrhundert das Fischereirecht auf die Bürger. Damit die Fischerei nicht ausuferte, gründete sich im Jahr 1010 die Zunft. Zwar fehlt bis heute eine Urkunde, die das Alter zweifelsfrei belegt. Vergangene Jubiläen und Aufzeichnungen des Bundes, die sich immer wieder auf das Jahr 1010 berufen, lassen für Ehrenmitglied Dieter Salch aber keinen Zweifel: Im Jahr 1010 wurde die Würzburger Fischerzunft ins Leben gerufen. Urkundlich erwähnt wurde sie aber erst 1279. Ansässig im Stadtviertel unterhalb der Festung Marienberg war es Aufgabe der Fischer, sich um den Fischfang, den Fischmarkt und den Bestand im Main zu kümmern. »Ein Fisch sollte erst ab einer gewissen Größe gefangen werden«, erklärt der Präsident des Fischereiverbands Unterfranken, Peter Wondrak. Nur so konnte gesichert werden, dass es zu keiner Überfischung des Flusses kam und die Versorgung der Bevölkerung garantiert war.
Der Beginn der Industrialisierung läutete schließlich den Niedergang dieses Handwerks ein. Der Main wurde für die Schifffahrt geöffnet, und immer mehr Fabriken leiteten ihre Abfälle ungefiltert in das Gewässer. »Die Fischerei in Würzburg hat sich davon nicht mehr erholt«, sagt Wondrak, der ein Buch über die in Würzburg ansässige Fischerzunft geschrieben hat. Vom Fischfang zu leben, war von jetzt an nahezu unmöglich. Die Folge: Immer mehr Berufsfischer verschwanden, die Zunft wurde in einen Verein gewandelt.
Im Stadtbild präsent ist sie jedoch geblieben. Ihr Zunfthaus im Fischereiviertel betreiben die Vereinsmitglieder mittlerweile als Museum. Am Fischerbrunnen in der Karmelitenstraße findet jährlich im Oktober ein Fischmarkt statt. Und auch bei Festumzügen laufen die Mitglieder der Fischerzunft samt historischer Tracht mit.
Eine Angelrute wirft keiner der 38 Vereinsmitglieder mehr aus. Georg Göß, im Alter von 85 Jahren jüngst gestorben und letzter Berufsfischer des Bundes, hängte Köder und Rute schon vor Jahren an den Hacken. Doch für den Main will der Verein auch weiter verantwortlich sein, auch ohne einen hauptberuflichen Fischer. Wer einen Angelschein für das 115 Kilometer lange Flussstück zwischen Garstadt (Landkreis Schweinfurt) und Gemünden (Landkreis Main-Spessart) haben möchte, muss bei der Würzburger Fischerzunft vorstellig werden. Auch bei offiziellen Bauvorhaben am Main hat der Verein ein Wörtchen mitzureden.
Ihr Jubiläum begeht die Fischerzunft neben etlichen Veranstaltungen heuer auch mit einem sogenannten Fischerstechen am Main (18. Juli). Dabei versuchen Hobby-Fischer, sich gegenseitig mit langen Stangen von Booten aus ins Wasser zu stoßen. Zu dem Spektakel wollen zahlreiche Fischerzünfte aus Süddeutschland kommen.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!