Der Ungeist von Alt Rehse

Ein Filmdokument zeigt das Leben an der früheren Ärzteführerschule der Nazis

  • Winfried Wagner, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie badeten im See, erholten sich im Park – und wurden dabei auf den Massenmord eingeschworen. Ein wiederentdecktes Filmdokument zeigt, wie Mediziner in der nationalsozialistischen Ärzteführerschule in Alt Rehse lebten. Der Film soll in eine neue Austellung kommen, die der Verein für die Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse (EBB) im alten Gutshaus von Alt Rhese einrichten will.

Alt Rehse/Berlin. Es sieht aus wie harmloses Lagerleben, es ging aber um den Tod: Über den Alltag in der »Führerschule der deutschen Ärzteschaft« in Alt Rehse (Müritzkreis) gibt es ein Filmdokument. »Dabei handelt es sich um einen privaten 16-Minuten-Streifen von 1939«, sagt Rainer Stommer vom Verein für die Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse (EBB).

Ein Zufall half dem Verein: Der von einem Lehrgangsteilnehmer gedrehte Streifen wurde bei einer Haushaltsauflösung in Berlin gefunden und dem Verein geschenkt. Im nationalsozialistischen Musterdorf Alt Rehse waren von Juni 1935 bis 1943 mehrere tausend Mediziner ideologisch auf den späteren Massenmord vorbereitet worden.

Wie auf dem Schulausflug

Kern des Dorfes ist ein 65 Hektar großer Park am Tollensesee, den die NS-Machthaber damals einem Gutsherrn abnahmen und wo sie ihre »Ärzteführerschule« mit kleinen Häusern zur Unterbringung der Teilnehmer errichteten. »Die Mediziner kamen aus ganz Deutschland und blieben zwischen zehn Tagen und vier Wochen im Park«, erklärt Historiker Rainer Stommer.

Die Teilnehmer wurden unter anderem in Rassenlehre und Euthanasie – also der Aussonderung und Vernichtung sogenannten lebensunwerten Lebens – geschult. Dabei sei darauf geachtet worden, dass die Leute aus verschiedenen Regionen zusammenkamen. »Sie sollten zusammenwachsen, das wurde später »der Geist von Alt Rehse« genannt«, sagt Stommer. Der Schmalfilm zeigt die Ärzte verschiedener Altersgruppen beim Schwimmen im See, beim Reinemachen ihrer Unterkünfte und beim Frühstück. Durch einen Zufall konnte der Film genau datiert werden. »Am 29. Juni 1939 brannte ein Gebäude in Alt Rehse, das ist auf den Bildern zu erkennen«, sagt Historiker Stommer.

Bilder von den eigentlichen Vorträgen oder von den Fahnenzeremonien gibt es nicht. »Das war nicht üblich, aber das eigentlich Wichtige war auch das Lagerleben«, meint Stommer. Die meisten Teilnehmer seien bereits überzeugte NS-Leute gewesen, bevor sie nach Alt Rehse kamen. Im Film sei klar zu erkennen, dass die Teilnehmer zuerst »etwas fremdeln«. Dann kamen sie sich näher, es wurden Witze und Späße gemacht. »Sie benahmen sich am Schluss zum Teil sogar, wie pubertierende Jugendliche auf einem Schulausflug.« Nach ihren Schulungen setzten die Mediziner ab 1939 den straff organisierten Massenmord an den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft um. Im gesamten Deutschen Reich sortierten Ärzte, Pfleger und Gesundheitsbeamte nach einem Führer-Erlass »lebensunwertes Leben« aus.

120 000 Euthanasie-Opfer

Betroffen waren seelisch leidende, körperlich oder geistig behinderte Menschen und chronisch Kranke. Bis Kriegsende 1945 fielen nach Expertenschätzungen mehr als 120 000 Menschen dem Euthanasieprogramm zum Opfer. Das Filmdokument soll in eine neue Ausstellung kommen, die der Verein im alten Gutshaus des Dorfes installieren will. Die Sanierung des Gebäudes wird laut Verein rund fünf Millionen Euro kosten und soll 2011 beginnen.

Ab dem Jahr 2013 können Interessierte in der Begegnungs- und Bildungsstätte wohnen und sich über die Zusammenhänge von Medizin, Geschichte und Ethik informieren können. »Es soll auch Anstoß sein, über Ethik im Gesundheitswesen generell zu diskutieren«, sagt Stommer. An der dafür nötigen gemeinnützigen GmbH ist neben dem EBB auch der jüdische Kulturverein Beth Zion aus Berlin beteiligt.

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