Broders Laudatio
MRR und Israel
Am Sonntag wurde dem 90-jährigen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in der Paulskirche zu Frankfurt am Main die Ludwig-Börne-Ehrenmedaille verliehen. Zu den Laudatoren zählte neben dem »FAZ«-Herausgeber Frank Schirrmacher und dem TV-Unterhalter Thomas Gottschalk der Publizist Henryk M. Broder. Dessen Ansprache unterschied sich von üblichen Lobreden gewaltig. Broder nutzte die Gelgenheit, um »über ein Thema zu sprechen, das mir wie kein anderes am Herzen liegt«. Er nennt es die »Wiederkehr der jüdischen Frage«.
Sich nicht zu aktuellen politischen Fragen zu äußern, wirft Broder Reich-Ranicki, »dem Ludwig Börne unserer Tage«, freundlich, aber direkt vor: »Man kann in der deutschen Literatur zu Hause sein, aber man kann nicht so tun, als würde man in der deutschen Literatur leben. Zum Leben gehört mehr als die Kenntnis der literarischen Produktion eines Landes oder einer Gesellschaft. Wenn Sie auf der Straße als ›Saujud‹ angepöbelt werden, werden Sie gewiss nicht stehenbleiben und den Pöbler fragen: ›Entschuldigen Sie bitte, lieber Freund, haben Sie ›Nathan der Weise‹ nicht gelesen?‹«
Broder, der in der deutschen Gesellschaft »die fortschreitende Dämonisierung und Deligitimierung von Israel« ausmacht, fragt den Holocaust-Überlebenden Marcel Reich-Ranicki, ob er »nicht eine Gänsehaut« bekomme, »wenn im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen in Gaza von ›Zuständen wie im Warschauer Getto‹ geredet wird«. Weiter heißt es in der von Spiegel-online und »FAZ« abgedruckten Rede: »Ich hätte mir gewünscht, dass Sie auf den Tisch geschlagen und ›Grässlich!‹ gerufen hätten, wie Sie es so oft im ›Literarischen Quartett‹ getan haben, oder ›Unsinn!‹ und vielleicht hinzugefügt hätten: ›Hört auf mit diesem Quatsch. Ich war im Warschauer Getto. Ich weiß, wie es da zuging. Verglichen mit dem Warschauer Getto ist Gaza ein Club Med.‹« Ein Club Med, wer es nicht weiß, ist ein Ferienclub mit Rundumbetreuung.
Wer an Israels Existenzrecht rührt, so Broder schließlich, nimmt in Kauf, »dass die großen Katastrophen nicht hinter, sondern vor uns liegen«. Was diese polemischen Überlegungen mit dem Geehrten zu tun haben? Broder: »Zwischen Ihren Erfahrungen in der Vergangenheit und der Zukunft Israels gibt es eine Verbindung: Es wäre Ihnen einiges erspart geblieben, wenn es diesen Staat schon vor siebzig Jahren gegeben hätte. Ihr Leben wäre weniger ereignisreich verlaufen, Ihre Erinnerungen wären unter dem Titel ›Mein Leben im Kibbuz‹ erschienen, es wäre alles nicht so spektakulär, dafür aber bekömmlicher gewesen.« mha
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