LINKE nominiert Luc Jochimsen

Die ehemalige Journalistin tritt zur Bundespräsidentenwahl an / Gysi schließt Stimmen für Joachim Gauck aus

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Nun ist es raus: Luc Jochimsen ist die Kandidatin der LINKEN zur Bundespräsidentenwahl am 30. Juni. Die frühere Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks bringt zwar ideale Voraussetzungen für das Amt mit, ist jedoch chancenlos. Weiterhin umstritten ist, ob die LINKE den rot-grünen Kandidaten Joachim Gauck im zweiten oder dritten Wahlgang unterstützen wird. Fraktionschef Gregor Gysi sprach sich gestern gegen eine Wahl Gaucks aus.

Eigentlich sollte der Name der LINKEN-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten am Dienstag erst nach der Fraktionssitzung um 15:30 Uhr verkündet werden. Parteivorstand und Fraktion hatte man im Vorfeld nicht informiert. Der Kreis der Mitwisser sollte offenbar möglichst klein gehalten werden. Denn in der Vergangenheit hatte sich oft gezeigt, dass einige Parteimitglieder allzu gern sensible Information an die Presse weitergaben. Und auch am Dienstag konnte wieder jemand nicht an sich halten. Bereits zwei Stunden vor der offiziellen Verkündung durfte so ausgerechnet das Springer-Blatt »Welt« vermelden, dass die LINKE Luc Jochimsen ins Rennen schicken wolle.

Das kam für viele überraschend. Noch kurz zuvor waren die meisten Beobachter davon ausgegangen, dass die Mitherausgeberin des »Freitag«, Daniela Dahn, die Kandidatin fürs höchste Staatsamt sei. Die ehemalige Fernsehjournalistin Luc Jochimsen hatte niemand auf dem Schirm. Dabei ist die gebürtige Nürnbergerin durchaus eine gute Wahl. Mit ihren 74 Jahren ist sie in einem präsidiablen Alter und kennt zudem das politische Tagesgeschäft, schließlich sitzt sie seit 2005 für die LINKE im Bundestag. Zuvor war sie unter anderem als Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks tätig. Offenbar überzeugte die Kandidatin auch die Bundestagsfraktion und die ebenfalls anwesenden Vertreter aus den Ländern: Sie stimmten am Dienstag geschlossen für Jochimsen. Wenn auch viele mit Bauchschmerzen. Dabei war nicht Jochimsen das Problem, sondern der Alleingang von SPD und Grünen.

Viele LINKE hätten sich gewünscht, mit einem gemeinsamen Oppositionskandidaten gegen den schwarz-gelben Bewerber Christian Wulff anzutreten. Doch SPD und Grüne nominierten stattdessen den Ex-Pfarrer und Stasiakten-Beauftragten Joachim Gauck. Ein bewusster Affront gegen die LINKE. Treibende Kraft waren dabei wohl die Sozialdemokraten, die sich so von der linken Konkurrenz abgrenzen wollen. Entsprechend verschnupft kommentierte Linksfraktions-Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann am Dienstag, die SPD sei wohl noch nicht »im Fünf-Parteien-System angekommen«. Als ernsthafter Kandidat sei Gauck jedenfalls nicht in Betracht gezogen worden, denn »inhaltlich ist er meilenweit entfernt von rot-grünen Positionen«.

Enkelmann monierte zudem, dass sich Gauck bislang nicht bei der Fraktion gemeldet habe, um einen Termin für ein Vorstellungsgespräch zu vereinbaren. Die letzte SPD-Kandidatin Gesine Schwan war noch über ihren Schatten gesprungen und hatte sich dem Gespräch mit der Linkspartei gestellt. Offenbar lässt sich der Rostocker Offizierssohn immer noch von alten Reflexen und Feindbildern leiten. So meinte der 70-Jährige vor wenigen Tagen, die Mitglieder der LINKEN seien »reaktionär«. So blieb der Partei keine andere Wahl, als eine eigene Kandidatin zu nominieren, auch wenn diese letztendlich chancenlos ist. Parteichefin Gesine Lötzsch war sich am Dienstag sicher: »Luc Jochimsen ist die Kandidatin, die zu den sozialen Fragen unserer Zeit mehr zu sagen hat, als die beiden anderen Kandidaten zusammen.«

Viel Zeit, sich zumindest bei den Landesverbänden vorzustellen, bleibt Jochimsen nicht mehr. Bereits am 30. Juni kommen die 1244 Mitglieder der Bundesversammlung in Berlin zusammen, um das neue Staatsoberhaupt zu wählen. Die 124 oder 125 Stimmen der LINKEN können da nicht mehr als das Zünglein an der Waage sein. Klar ist: Im ersten Wahlgang werden die Delegierten der LINKEN geschlossen für Jochimsen stimmen. Weniger klar ist bislang, wie man in einem möglichem zweiten oder dritten Wahlgang abstimmen wird. Die Versuchung ist groß, Schwarz-Gelb eins auszuwischen und trotz aller Differenzen für Gauck zu votieren.

Sollte Wulff im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlen, dann würde es zu einem zweiten Durchgang kommen, den der Niedersachse ebenfalls mit absoluter Mehrheit für sich entscheiden müsste. Erst beim dritten Mal würde die einfache Mehrheit reichen. Derzeit verfügt Schwarz-Gelb über eine Mehrheit von 23 Stimmen. Allerdings halten einige FDP-Politiker Gauck für den besseren Kandidaten. Ob sie bis zum 30. Juni auf Linie gebracht werden können, bleibt abzuwarten.

Einige Linkspolitiker, darunter Ex-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, hatten sich für eine Wahl Gaucks ausgesprochen. Doch Linksfraktionschef Gregor Gysi schloss die Unterstützung seiner Partei für Gauck gestern kategorisch aus. Sowohl Gauck als auch Wulff seien für die LINKE nicht wählbar, sagte Gysi am Dienstag. Das gelte für alle drei Wahlgänge. Sollte Wulff im ersten Wahlgang wirklich durchfallen, werde die Delegation neu beraten. Er halte es aber »für ausgeschlossen«, dass sich jemand für Gauck oder Wulff entscheiden werde, so Gysi.

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