Das Grauen mit Topfpflanze
»Die Geburtstagsfeier« von Harold Pinter am Residenztheater München, Regie: Thomas Langhoff
Harold Pinters Dramatik: das Reale unwirklich, das Unwirkliche sehr, sehr real. Dieser Autor ist ein Pfadfinder in kleinbürgerlichen Existenzängsten gewesen. Seine Stücke zeigen, dass alles vernichtend Absurde urplötzlich in der routinierten Täglichkeit des Lebens aufplatzt. In der »Geburtstagsfeier« wird zwar eine Scheibe geröstetes Brot zum Frühstück wie eine wunderbare Überraschung bestaunt, aber die blitzschnelle Umfunktionierung eines Menschen in eine willige Apparatur vollzieht sich in merkwürdiger Wahrnehmungslethargie aller Beteiligten.
Eine abgewirtschaftete Pension wird von zwei dubiosen Männern heimgesucht, zwei Typen wie Herr und Knecht oder Boss und Büttel, und jener seit Langem einzige Gast in der öden Absteige am Meer, nur noch ein müder, schmutziger, verwitterter Rest Mensch – ihm wird eine ominöse Geburtstagsfeier ausgerichtet, die ihn angstschlotterend macht, und am nächsten Morgen, da er von den Männern abgeführt wird, ist er ein glattrasierter, anzugtragender, gesichtsloser Klumpen Menschenteig. Verwandelt, hirnlos, missbrauchsfähig wie Galy Gay, jener einfältige Kerl, der in Brechts »Mann ist Mann« einen Fisch kaufen geht, in Söldnerhände gerät und quasi im Handumdrehen zur soldatischen Kampfmaschine umgebaut wird. Der Einzelne als Elementarteilchen, formbar, nur bedingt vom eigenen Willen geschützt – lass nur die falsche Gelegenheit kommen, und du bist in rasender Geschwindigkeit kein Ich mehr.
Pinter gibt dem Grauen keine soziale, politische Kontur, das Mahlwerk der undurchdringlichen, den Menschen fressenden Mächte ist eine anonyme Kraft, weniger gesellschaftlich als vielmehr unfassbar metaphysisch begründet ...
In diesen Stücken, die den Briten schon vor über fünfzig Jahren berühmt, ihn aber erst vor fünf Jahren zum Literatur-Nobelpreisträger machten (er starb 2008), versucht sich eine Mischung aus Kafka und Beckett; das Psychodrama hat eine etwas grobe Affäre mit der Groteske; das Gruselmärchen zwinkert dem Lehrstück zu; die Parabel setzt sich beim Küchendrama an den Tisch.
Vor Jahrzehnten waren die Dramen Pinters provokative Absage an jeden Glauben von einer möglichen, weil aufklärerisch grundierten Regelung menschlicher Verhältnisse; jeder behauptete Durchblick: eine Lüge; alle Klarsicht auf die Verhältnisse: eine Einbildung. Thomas Langhoff hat in München, am Bayerischen Staatsschauspiel, »Die Geburtstagsfeier« inszeniert. Fazit: Das Küchendrama fühlt sich äußerst wohl in dieser Aufführung, dies gibt ihr aufreizende Gemütlichkeit; die scharfen Kanten eines bitteren Gleichnisses auf die bösen Mächte der allgegenwärtigen Manipulation sind umwachsen von einer mild boulevardesken Komik.
Langhoff, in seiner Theaterarbeit ein eindrucksvoll sorgsamer Menschenbeobachter und -liebender, inszenierte die Einbrüche des Bösen aus einem unerschütterlichen Realismus heraus, er stellt dieses Böse zwischen Möbel des Heimeligen, nicht in eine Atmosphäre des ansteigend Unheimlichen hinein. So hat der Abend unübersehbar einen Hauch Patina, aber möglicherweise ist diese realistische Spielweise, die sich nicht zur forcierten Überhöhung verführen lässt, jener Preis, den zahlen muss, wer heute Pinter spielt. Noch spielt. Er wirkt wie der Aufruf einer Erinnerung. Die Jahre auf dem Buckel wiegen. Das Theater schleppt sich. Das Entsetzliche hat ein recht komödiantisches Gesicht.
Nun ist zu vermuten, dass Langhoff ihn bewusst zahlt – diesen Preis einer gleichsam wohltapezierten Gediegenheit, die noch im Schäbigen bewahrt bleibt. Er ist kein Regisseur des kalt gezirkelten Zwielichts und der mysteriösen Aura, sondern unwandelbar ein Feinfühler des realen menschlichen Herzschlags, und just dies gleicht jede erweichende Milde aus – weil es eine Einladung an hervorragende Schauspieler ist.
Robert Gallinowski ist Stanley, der einzige Pensionsgast, ein verschmuddelter Lebenskünstler, der sich mühsam eine Biografie erfindet, die ihm doch längst verloren ging, ein Angstwesen, das sich hinter einer Topfpflanze versteckt – es ist gut, den erdigen, rau-herzigen und spannend schillernden Schauspieler Gallinowski, nach Jahren am DT, endlich wieder auf einer Bühne zu sehen. Dieter Mann und Robert Joseph Bartl sind die beiden Fremden, ein Duo zwischen getarnt schneidiger Tücke des einen und dumpf walzendem Zugriffsinstinkt des anderen.
Conny Froboess und Helmut Stange sind das alte Paar, dem die Pension gehört; sie von zäher, koketter Aushaltekraft, und am Ende, nach Stanleys Entführung, zelebriert sie eine stoische Verdrängungskunst; er dagegen hüllt sich in eine tattergreisige Schutzmaske, so kann er zwar klar erkennen, was sich abspielt, darf sich aber einreden, zu schwach fürs Eingreifen zu sein. So lebt diese Menschenart weiter und wird nie sterben.
Nächste Vorstellung: 20.6.
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