Wir sind ertappt

Briefe eines fiktiven Afrikaners

  • Ulrich van der Heyden
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Deutschen »machen die Schweine, die sie essen wollen, künstlich krank, damit sie ganz dick werden ... Und wie die Schweine mästen sie auch sich selbst.« Dies berichtet ein fiktiver Afrikaner vor dem Ersten Weltkrieg seinem Häuptling. Doch nicht nur die Esskultur der Deutschen hat seine Verwunderung gefunden.

Hinter dem Briefeschreiber verbarg sich der ehemalige deutsche Marine- und Kolonialoffizier und spätere Pazifist Hans Paasche. Die von ihm unter dem namen Lunkanga Mukara verfasssten Briefe sind ein Spiegelbild »deutscher Sitten« zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die Briefe sind gespickt mit bissigen, kritischen Kommentaren zur »zivilisierten Gesellschaft«, die heutige Leser in schallendes Gelächter ausbrechen lassen, das einem jedoch auch im Hals stecken bleiben kann. Man fühlt sich ertappt. Nicht alles hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Viele Verhaltensmuster sind geblieben.

Hans Paasche, aus großbürgerlichem Hause stammend, stritt gegen Kolonialismus und Zivilisationsdünkel des Wilhelminischen Reiches. Seine den »Lettres Persanes« von Montesquieu nachempfundenen Briefe reichen zeitlich jedoch weit über dieses hinaus. Sie klagen den Export europäischer Lebensformen, Sitten und Gebräuche in die Länder der sogenannten Dritten Welt an. Lukanga Mukara registriert, dass die Weißen keine Ehrfurcht vor der Natur hätten, ziellose Hektik ihr Leben bestimme, sie sich selbst durch strenges Befolgen von Konventionen einengten und stetig auf der Jagd nach Geld seien. Auch das »Rauchstinken« und die »Unsitte des Bekleidens« befremden ihn.

Im Nachwort des neu herausgegebenen Bandes würdigt Iring Fletcher den Autor als Vorkämpfer für Frieden und Völkerverständigung, für Natur- und Umweltschutz. Man kann den 1920 von Reichswehrsoldaten ermordeten Hans Paasche durchaus als ersten Grünen Deutschland bezeichnen.

Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland. Donat Verlag. 167 S., geb., 12,80 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -