Machtpoker auf dem Doppelgipfel
Heute beginnt im kanadischen Huntsville das diesjährige G8-Spitzentreffen
20 000 Sicherheitskräfte, ein drei Meter hoher Zaun, der Downtown Toronto in eine Festung verwandelt, »wie ich sie noch nie gesehen habe«, wie Sid Ryan vom Gewerkschaftsbund der Provinz Ontario kritisiert, Kampfjets, die von oben die Tagungsstätten und angekündigten globalisierungskritischen Demonstrationen im Visier haben, ein extra angelegter künstlicher See im Medienzentrum – alles in allem Kosten, die mit 1,1 Milliarden kanadischen Dollar über denen der Olympischen Winterspiele von Vancouver liegen. Zumindest in diesem Punkt ist das alljährliche G-Spektakel wieder einmal rekordverdächtig. Mit diesem Geld ließe sich in ärmeren Teilen der Welt einiges an Hilfsprojekten auf die Beine stellen. Schließlich steht schon heute beim G8-Gipfel nahe der beschaulichen Kleinstadt Huntsville gut 200 Kilometer nördlich von Toronto neben politischen Konfliktfragen wie dem iranischen oder dem nordkoreanischen Atomprogramm auch die weltweite Armutsbekämpfung auf der Tagesordnung.
Nachhaltige Ergebnisse erwarten Beobachter wie Peter Wahl, Sprecher der Nichtregierungsorganisation Weed, aber nicht. Deshalb hat ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Friedensbewegung und anderen sozialen Gruppen in Toronto mit dem Gegengipfel »People's Summit« eine Woche des Widerstands gegen den unsozialen Kurs neoliberaler Regierungen organisiert. Dort erörtert man Alternativen zur Diktatur der Finanzmärkte und übergibt eine weltweite Unterschriftensammlung für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Hilfsorganisationen fordern von den G8-Staaten u.a. neue Zusagen in Höhe von 24 Milliarden US-Dollar bis 2015, um die Kinder- und Müttersterblichkeit drastisch zu senken.
Bei der Erfüllung der Millenniumsziele der UNO hinkten diese beiden Punkte am meisten hinterher. »Genau die Schwächsten in unseren Gesellschaften bekommen am wenigsten Entwicklung mit«, kritisierte Marwin Meier von World Vision in Toronto. Sie müssen befürchten, dass die Themen Armut, Hunger, Bildung oder Klimaschutz von den Schuldenbergen verdeckt und vom Streit über Haushaltssanierungen und Konjunkturprogramme, Bankenabgaben und Bilanzierungsregeln verdrängt werden.
Die Vorstellungen der USA und der von der Euro-Krise schwer gebeutelten EU-Vertreter gehen in diesen Fragen weit auseinander. Zudem haben die Protagonisten von Barack Obama bis Angela Merkel mit diversen politischen Schwierigkeiten in der Heimat zu kämpfen. Der USA-Präsident wird das Gipfelwochenende auch nutzen, um bei bilateralen Gesprächen Partner zu gewinnen. Auffällig dabei, dass er sich mit fünf asiatischen Staats- und Regierungschefs trifft, aber nur mit einem europäischen Spitzenpolitiker, dem neuen britischen Premierminister David Cameron. Das zeige, dass Obama »dem zunehmenden Einfluss der aufsteigenden Mächte« immer mehr Bedeutung beimesse, hieß es in Washington.
Auch die gleichsam halbierte G8-Tagung zugunsten des anschließenden vierten Treffens der G20 demonstriert eine neue Rollenverteilung: Die Schwellenländer, die die Welt in der großen Finanzkrise entscheidend vor einer Depression wie in den 1930er Jahren bewahrt haben, sitzen beim Machtpoker endgültig mit am Tisch. Allen voran das Schwergewicht China, das inzwischen die weltgrößten Devisenreserven (2,4 Billionen US-Dollar) besitzt und unmittelbar vor dem Gipfel dem Wechselkurs des Yuan mehr Spielraum gegeben hat, um seinerseits ein Zeichen zu setzen. Mit dem Pittsburgh-Gipfel im Vorjahr endete die Ära des selbst ernannten exklusiven G8-Krisenstabs der Weltwirtschaft, und die erweiterte Runde der 20 größten Volkswirtschaften wurde zum »obersten Forum für unsere internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit« erklärt.
Allerdings wird dieser Bedeutungszuwachs nicht nur bei G8-Staaten wie Italien oder Russland, die um ihren eigenen Einfluss bangen, mit Unbehagen gesehen. So haben jetzt die 27 Mitgliedsländer der im Vorjahr gegründeten sogenannten Global Governance Group (3G) die politisch wie wirtschaftlich so einflussreichen G20-Staaten vor einer Ausgrenzung der kleinen und mittelgroßen Länder gewarnt. »Anders als bei den Vereinten Nationen, wo wir alle ein Stimmrecht besitzen, ist der G20-Prozess ein geschlossener«, monierte etwa Singapurs Botschafter Vanu Gopala Menon. Die Staatengruppe fordert, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen und weitere hochrangige UN-Repräsentanten künftig wie die Spitzenvertreter der EU automatisch zu allen G20-Konferenzen und Vorbereitungstreffen eingeladen werden.
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