Ungarn erhält einen neuen Staatspräsidenten

Wahl darf als Schritt zum Abbau der demokratischen Gegengewichte der politischen Macht gelten

  • Gábor Kerényi, Budapest
  • Lesedauer: 4 Min.
Ungarns Parlament wählt am heutigen Dienstag einen neuen Staatspräsidenten: den 68-jährigen zweifachen Fechtolympiasieger Pál Schmitt, bisher Parlamentspräsident und Chef des Nationalen Olympischen Komitees.

Der neue ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán agiert mehr als souverän. Erst verlängerte er die Sitzungsperiode des Parlaments bis weit in den Juli hinein, damit die Volksvertreter die wichtigsten 50 Gesetze noch vor der Sommerpause verabschieden können. Dann fuhr er erst einmal nach Bulgarien, um mit seiner Familie den wohlverdienten Urlaub zu genießen. Auch ein Treffen mit Angela Merkel wurde deshalb abgesagt. Unterdessen ist ihm vorige Woche – sechs Tage vor der Wahl des Staatspräsidenten am heutigen Dienstag – eingefallen, dass ihm ein neuer Mann auf diesem Posten angenehmer wäre als der bisherige, der parteilose László Solyom, der alles andere als ein Linker ist. So geschah es, dass Orbán aus seinem Urlaubsort einen Brief nach Budapest schickte, in dem er kund tat, dass der gegenwärtige Parlamentspräsident Pál Schmitt zum nächsten Staatsoberhaupt gekürt werden solle.

Noch bei der vorigen Staatspräsidentenwahl hatte der Briefschreiber als Oppositionsführer gemeint, im Falle einer so wichtigen Angelegenheit wie der Präsidentenwahl sei es »ratsam und auch Pflicht«, die Meinung des Volkes einzuholen. Doch weil der Inhaber des höchsten Amtes im Ungarnland durch das Parlament gewählt wird, ist Orbán in seiner neuen Machtposition die Meinung des Volkes auf einmal nicht mehr allzu wichtig.

Dass die Wahl auf Schmitt fiel, löste in den ungarischen Medien einiges Rätselraten aus. »Es ist anzunehmen« so hieß es etwa, »dass Orbán Pál Schmitt sehr gut kennt. Wir sollten uns keine Illusionen machen: Alles, was wir wissen, weiß Orbán auch, ja, er weiß gewiss noch mehr.« Diese für ein Durchschnittshirn etwas rätselhafte Aussage, die zwischen den Zeilen auf die geistigen Fähigkeiten Schmitts anspielt, erinnert stark an die Ausdrucksweise des Journalismus im einstigen Einparteiensystem. Und das ist kein Zufall. Über 20 Jahre nach dem Systemwechsel scheint es, als hätte sich ein guter Teil der ungarischen Journalisten und Intellektuellen nur allzu rasch, binnen Monatsfrist, geschmeidig auf die aus staatssozialistischen Zeiten bekannten alten-neuen Umstände eingestellt. Offenkundig befindet sich Ungarn auf dem Weg in ein Mehrparteiensystem ohne Demokratie.

Pál Schmitt, der ehemalige Sportler, ein enger und treuer politischer Weggefährte Orbáns, wurde als solcher vom Chef der Fidesz-Partei schon des Öfteren belohnt. So durfte er 2004 die Fidesz-Liste für die Wahlen zum Europäischen Parlament anführen. Und vor einem Monat erst, nach dem Fidesz-Sieg bei den Parlamentswahlen, erhielt Schmitt den Posten des Parlamentspräsidenten.

In einer ersten eigenen Stellungnahme zeigte sich der Erwählte, wie schon in der Vergangenheit, als nicht gerade raffinierter Politiker. Schmitt beeilte sich mitzuteilen, dass er in der neuen politischen Konstellation, da die Regierungspartei Fidesz im Parlament über eine Zweidrittelmehrheit verfügt und damit die Verfassung ändern kann, als Staatspräsident »weder als Gegengewicht noch als Bremse des Gesetzgebungsschwunges der Regierung« auftreten wolle. Schmitt kündigte damit an, auf den Kern der verfassungsmäßigen Funktion seines zukünftigen Amtes verzichten zu wollen. Außerdem bekannte er sich offen zur großungarischen Attitüde seiner Partei. Er möchte nämlich, was das auch immer heißen mag, »Mensch der Menschen« sein, wobei sich die Angesprochenen dies »nicht so vorstellen sollten, dass ich mich mit allen 15 Millionen ungarischen Menschen konsultieren werde«. Die Bevölkerung Ungarns beträgt derzeit 10 Millionen, die übrigen Ungarn leben in den Nachbarländern oder noch weiter entfernt.

Schließlich gab Schmitt auch noch seiner Meinung Ausdruck, dass Ungarn ein neues »Grundgesetz braucht, das mit der Goldenen Bulle (von 1222) und dem ungarischen Blutbrüderschaftsvertrag (aus dem 9. Jahrhundert) vergleichbar ist«. Ginge es nach dem zuletzt genannten Vertrag aus dem Mittelalter, dann wären Ungarns Führungssorgen ein für allemal erledigt. Der Vertrag nämlich legte seinerzeit fest, dass die Nachfolge in der Führung des Landes immer den Abkömmlingen des abtretenden obersten Wesirs gebühre, im Falle Viktor Orbáns also dessen Nachkommen.

Das alles sagte der zukünftige Staatspräsident des EU-Mitglieds Ungarn im Jahre 2010 in vollem Ernst. Aus dieser Sicht ist es schon fast unverständlich, wie man aus einer solchen Maus wie einer bevorstehenden Bundespräsidentenwahl einen solchen Elefanten machen kann, wie es in Deutschland zeitgleich vorgeführt wird.

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