Kita-Notstand in vielen Kommunen

Bedarf ist höher als angenommen – Bundesfamilienministerin besteht auf 35-Prozent-Quote

  • Lesedauer: 3 Min.
Schon jetzt haben viele Städte und Gemeinden im Westen das vereinbarte Ziel fast aufgegeben, bis 2013 für rund 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren einen Kita-Platz zu schaffen. Doch nun macht eine Studie der Bertelsmann Stiftung deutlich: Selbst diese Marke ist viel zu niedrig gegriffen, der Bedarf absehbar deutlich höher. Die Bundesregierung demonstriert dennoch Optimismus.

Berlin/Güterloh (dpa/ND). Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) ist zuversichtlich, dass die vorgegebenen Ziele bei der Schaffung von Krippenplätzen für Kleinstkinder noch erreicht werden können. Sie sagte am Dienstag im »Morgenmagazin« des ZDF, Bund, Länder und Kommunen hätten vereinbart, bis 2013 für 35 Prozent der unter Dreijährigen Krippenplätze zur Verfügung zu stellen. »Das ist nach wie vor ein ziemlich realistisches Ziel«, erklärte Schröder.

Die Ministerin sagte, bei einer heutigen Krippenabdeckung von 20 Prozent sei das ein »Riesenthema«. Es sei »gut, dass wir bei den Sparbemühungen gesagt haben, wir müssen überall sparen, nur an diesem Punkt nicht«. Der Bund beteiligt sich bis 2013 mit vier Milliarden Euro am Ausbau der Kinderbetreuung. Eine am Montag vorstellte Bertelsmann-Studie zeigt hingegen auf, dass viele Städte und Gemeinden im Westen das 35-Prozent-Ziel bereits fast aufgegeben haben. Ab August 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, wenn das Kind ein Jahr alt ist – dafür plant der Bund einen Ausbau der Krippenplätze und geht davon aus, dass dafür das 35-Prozent-Ziel ausreichend ist.

Die Studie der Bertelsmann Stiftung belegt zudem, was die Kommunen schon lange befürchten: Selbst die fixierte Marke ist viel zu niedrig gegriffen, der Bedarf absehbar deutlich höher. »Die Zielmarke tatsächlich fristgerecht umzusetzen, wäre schon eine gute Sache«, sagte Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung am Montag. »Wer aber glaubt, er wäre damit durch, der irrt.«

Klagewelle erwartet

2009 gab es der Studie zufolge Kita-Plätze für gut 20 Prozent der unter Dreijährigen. Vier Jahre zuvor waren es nur etwas über 13 Prozent. Durchschnittlich 20 Prozent der Einjährigen (2006: 11,6 Prozent) und knapp 39 Prozent (2006: 26,6 Prozent) der Zweijährigen wurden 2009 in Kindertagesstätten oder Tagespflege betreut. Doch selbst im Osten, wo das Angebot der Kinderbetreuung viel stärker ausgebaut war, kann man sich nicht zurücklehnen. Gerade dort sei der Bedarf nochmals deutlich gestiegen, nämlich von knapp 40 (2006) auf nun 46 Prozent der unter Dreijährigen. Stein zog daraus den Schluss: »Der Bedarf steigt mit dem Angebot.« Angesichts dieser Entwicklung müsste das Ausbautempo verdoppelt werden.

Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, spricht von einer Herkulesaufgabe: »Der Rechtsanspruch macht eine deutlich höhere Quote erforderlich.« Zudem sei der Ausbau bei Weitem nicht voll finanziert.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund rechnet mit einer Klagewelle, wenn der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab 2013 nicht erfüllt werden kann. Bislang wird der Bedarf für den Ausbau auf 35 Prozent auf 12 Milliarden Euro geschätzt, vier Milliarden Euro steuert der Bund bei.

Familienministerin Schröder erklärte, in den vergangenen Monaten habe es eine große Dynamik beim Kita-Ausbau gegeben. »Deswegen dürfen wir gerade jetzt in unseren gemeinsamen Anstrengungen nicht nachlassen. »Sie erwarte, dass sich auch die Länder an die Ziele hielten. Die Familienministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), forderte einen weiteren Krippengipfel. Zur guten Qualität gehörten kleine Gruppen sowie gut ausgebildetes und bezahltes Personal, sagte Schwesig im NDR. »Das kostet Geld, und hier müssen sich Kommunen, Länder und Bund gemeinsam anstrengen.« Das Vier-Milliarden-Euro-Programm des Bundes sei »nur ein Tropfen auf den heißen Stein«.

Spitzenreiter Berlin

Die Studie ermittelte erstmals auch die Ausgaben der Länder für die Kinderbetreuung, allerdings nur bis zum Jahr 2007. Spitzenreiter Berlin gab demnach 2007 durchschnittlich 4150 Euro für jedes Kind unter sechs Jahren aus. Schlusslicht Schleswig-Holstein investierte mit rund 2000 Euro pro Kind nicht einmal die Hälfte davon.

Auch in den finanzstarken Ländern Bayern (2103 Euro) und Baden-Württemberg (2341 Euro) ist die Summe nur unwesentlich höher. Insgesamt seien Ausgaben pro Kind zwischen 2005 und 2007 in Deutschland um zwölf Prozent gestiegen.

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