Konflikt, Kosmetik, Krötenschlucken
Was unterscheidet in Nordrhein-Westfalen Rot-Grün II von Rot-Grün I ?
Im Januar 1996 schien alles schon vorbei zu sein. Acht Monate währte die rot-grüne Koalition an Rhein und Ruhr, nachdem die SPD bei der Landtagswahl 1995 ihre als ewig geltende Mehrheit verloren hatte. Nun spitzten sich die Konflikte innerhalb der »Zwangsromanze« (FAZ) erstmals zu. 20 Millionen Mark wollten die Sozis in den Ausbau des Regionalflughafens Dortmund investieren. Die Autobahn A 44 sollte ausgebaut, das Nachtflugverbot am Flughafen Köln-Bonn aufgehoben werden. Die Grünen waren empört: Sie sprachen von einem Bruch der Koalitionsvereinbarungen und drohten, notfalls den Haushalt zu blockieren – als Regierungspartei ... Erst nach acht langen Wochen gab die Öko-Partei klein bei: Mit 13 zu elf Stimmen votierte die Fraktion für eine Fortsetzung der Koalition – bei einigen kosmetischen Korrekturen an den SPD-Plänen. Ein grüner Landesparteitag – so viel Basisdemokratie muss sein! – segnete das Vorgehen wenige Tage später ab.
Konflikt, Kosmetik, Krötenschlucken – die Geschehnisse von 1996 sollten zur grünen Blaupause werden. Doch Rot-Grün hielt immerhin zehn Jahre, überstand drei SPD-Ministerpräsidenten. Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück machten aber nie einen Hehl daraus, dass sie lieber mit der FDP koalieren würden. »Ich trinke lieber ein Pils, als dass ich in einen grünen Apfel beiße«, verkündete Rau kurz vor der Wahl 1995. Doch schnell machte SPD-Bundeschef Rudolf Scharping Rau die Signalwirkung der Regierungsbildung klar. Rot-Grün musste sich in NRW bewähren, damit das Modell im Bund eine Chance bekommen konnte.
»Für die SPD war der Machtverlust von 1995 unfassbar und wurde als Betriebsunfall gewertet«, erinnert sich Bärbel Höhn, seinerzeit NRW-Umweltministerin, heute Vizechefin der grünen Bundestagsfraktion gegenüber dem ND. »Die Sozialdemokraten wollten unbedingt so weitermachen wie gehabt, wir Grüne sollten die fehlenden Stimmen liefern, aber möglichst nichts zu sagen haben.« Die ökonomischen Chancen einer ökologischen Politik hätten die Sozis schlicht nicht erkannt, so Höhn. »Das führte dann zu Auseinandersetzungen mit uns Grünen in der Energie- und Klimapolitik.«
Im Mittelpunkt der Konflikte standen zwei Personen, die einander in herzhafter Abneigung verbunden waren: Wolfgang Clement, erst Wirtschaftsminister, dann Ministerpräsident auf Seiten der SPD – und Bärbel Höhn. Noch heute fällt Höhns Urteil über ihren Ex-Chef vernichtend aus. Begriffe fallen wie »Beißer«, »Ruppiger«, »spontaner Managertyp, der gerne teure Vorzeige-Projekte produzierte«.
Als wichtigstes Beispiel gilt nicht nur Höhn der koalitionsinterne Kampf um das Braunkohleabbaugebiet Garzweiler II. »Tausende Menschen mussten dafür umgesiedelt werden und verloren ihre Heimat«, auch in ökologischer und klimapolitischer Sicht sei der Tagebau eine Katastrophe, fasst Höhn die grünen Argumente zusammen. Es sei ihre »schmerzhafteste Niederlage« als Ministerin, »dass ich die Genehmigung von Garzweiler II zwar mit vielen Auflagen versehen, aber nicht verhindern konnte«.
Nun, nach fünf Jahren schwarz-gelber Zwangspause, schicken sich SPD und Grüne erneut an, eine gemeinsame Regierung im bevölkerungsreichsten Bundesland zu bilden. Was wird Rot-Grün II von Rot-Grün I unterscheiden? »Die Grünen haben seitdem mehr Erfahrung gesammelt«, sagt Höhn, grüne Ideen und Konzepte hätten einen »stärkeren gesellschaftlichen Rückhalt« als damals. Derweil sei die SPD durch ein Tal der Tränen gegangen. »Durch diese Entwicklung sind wir Grünen stärker geworden und können der SPD auf Augenhöhe begegnen.«
Auch zwischenmenschlich dürfte vieles besser werden, hofft die grüne Spitzenpolitikerin. Die designierte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sei schlicht ein anderer Politiker-Typ als der »ruppige« Clement oder sein Nachfolger Peer Steinbrück, dem laut Höhn »das Gespür für soziale Belange abging«. Kraft, zu Höhns Zeiten Schulministerin, sei »als Kabinettskollegin sehr angenehm und an Lösungen orientiert« gewesen. Doch, so räumt Höhn ein: »Hannelore Kraft hat als Seiteneinsteigerin und Frau mehr Probleme, sich in der ›alten‹ SPD durchzusetzen.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.