Gesundheitsreform wird zur Chefsache

Koalitionsspitzen beraten sich / CDU-Kompromissvorschlag zu gestaffelten Zusatzbeiträgen trifft auf Ablehnung

  • Lesedauer: 3 Min.
Am Donnerstagnachmittag traf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Koalitionsspitzen zusammen, um über Maßnahmen gegen das drohende Milliardendefizit bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu beraten. Ein Kompromissvorschlag der CDU über gestaffelte Zusatzbeiträge stieß zuvor vielerseits auf Ablehnung.

Berlin (Agenturen/ND). Der Kompromissvorschlag des CDU-Gesundheitsexperten Jens Spahn sieht vor, den schon jetzt möglichen Zusatzbeitrag bis zu einem Monatseinkommen von 1400 Euro brutto bei einem Prozent des Einkommens zu belassen. Bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze von 3750 Euro solle der Satz dann schrittweise auf 2,5 Prozent steigen. Für Gutverdiener stiege die Belastung damit von bisher höchstens 37,50 Euro auf 93,75 Euro. Dies soll helfen, das sich für 2011 abzeichnende Rekorddefizit der Kassen von elf Milliarden Euro auszugleichen.

Die FDP erteilte dem Vorschlag eine Absage. »Falls es das Modell ist, das die CDU vor drei Wochen in die Beratungen eingebracht hat, dann spielt es keine Rolle mehr«, sagte FDP-Fraktionsvize Ulrike Flach der Tageszeitung »Die Welt«. Man habe erkannt, »dass es unsere Probleme nicht löst«.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, nannte Spahns Vorstoß einen »reinen Verzweiflungsvorschlag«. Durch ihn würden »gerade mittlere Einkommen zu Melkkühen gemacht.« Er kritisierte: »Statt Steuersenkung bekommen diese Einkommensgruppen eine Beitragserhöhung von bis zu über 90 Euro im Monat.« Für Gering- und Besserverdiener über der Beitragsbemessungsgrenze ändere sich dagegen nichts.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) warnte, durch gestaffelte Zusatzbeiträge wären dem Niedergang der solidarischen Krankenversicherung »Tür und Tor geöffnet«. Damit würden Anreize für einen Wechsel von freiwillig gesetzlich Versicherten in die private Krankenversicherung geschaffen, kritisierte SoVD-Präsident Adolf Bauer gestern in einer Mitteilung.

Auch der DGB lehnte eine Ausweitung der Zusatzbeiträge ab. »Es ist völlig inakzeptabel, wenn die Versicherten das Milliardendefizit alleine tragen und die Arbeitgeber keinen Cent aufbringen müssten«, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die DGB-Reformkommission zur Gesundheitspolitik, der Gewerkschaften und Sozialverbände angehören, forderte in einer Erklärung einen »solidarischen Kraftakt« im Kampf gegen das Kassendefizit. Arbeitgeber müssten wieder paritätisch an der Finanzierung der gesetzlichen Versicherung (GKV) beteiligt werden.

Union und FDP ringen seit Monaten um eine gemeinsame Linie in der Gesundheitspolitik. Nun wird aufs Tempo gedrückt: Noch vor der Sommerpause soll ein Konzept vorliegen. Bundesgesundheitsminister Phillip Rösler (FDP) wollte gestern nach dem Treffen erneut mit den Fachpolitikern der Fraktionen zusammenkommen. Eine weitere Runde der Koalitionsspitze war für Freitagmorgen geplant.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband forderte ein »schlüssiges, umsetzbares und verbindliches Konzept für die Zukunft des Gesundheitssystems«. »Die Verunsicherung der Verbraucher muss ein Ende haben«, kritisierte Vorstand Gerd Billen.

Einer Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zufolge könnten die gesetzlichen Kassen durch mehr Effizienz in der Verwaltung jährlich 1,4 Milliarden Euro einsparen. Statt derzeit 10,5 Milliarden Euro müsste die GKV laut der von der Direktkrankenversicherung BIG in Auftrag gegebenen Studie dann nur 9,09 Milliarden Euro pro Jahr für die Verwaltung ausgeben. Seite 6

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.