Hässlich, trostlos
Berliner Kupferstichkabinett: Verismus und Neue Sachlichkeit
Das Berliner Kupferstichkabinett besitzt einen einzigartigen Bestand an Kunst der 1920er Jahre, darunter befinden sich Künstler, die heute niemand mehr kennt und die es verdienen, wieder neu entdeckt zu werden. So sind 150 Arbeiten von mehr als 60 Künstlern für eine Ausstellung mit dem Brecht-Wort »Gefühl ist Privatsache« ausgewählt worden, einschließlich 30 Leihgaben – auch der Malerei und Bildhauerkunst – aus öffentlichem wie Privatbesitz, die ein breit gefächertes Spektrum von Tendenzen, Themen, Motiven und Gattungen veranschaulichen. Von der Auflösung des Expressionismus nach dem Ersten Weltkrieg über den Dadaismus in Berlin führt die Bilder-Inszenierung zu Verismus und Neuer Sachlichkeit, diese dann wieder in Bildnis, banalen und poetischen Alltag, Kult der Zerstreuung, Akte, Landschaft und Stadtbilder unterteilt, und schließt um 1930 mit der Gesellschaftskritik der proletarisch-revolutionären Künstler.
Schon Dada hatte die irrationale Welt der Expressionisten höhnisch hinterfragt. In der Collage-Technik trat die latente Zeitkritik offen zutage. Jetzt bediente man sich nicht mehr der Ideen, sondern der »Sachen« selber, indem man sie zunächst auf die schiere Linie reduzierte, dann aber diese Linien karikaturistisch verzerrte.
George Grosz, der Meister der radikalen Bitterkeit in Berlin, steigerte die Präzision der zeichnerischen Geste zu einem Vorgang des Sezierens. Er hat sich künstlerisch alle neuen Zeitströmungen zu eigen gemacht: den Gedanken der Simultaneität, der futuristischen Schachtelperspektive mit divergierenden Blickrichtungen, der Verwandlung, der immerwährenden Bewegung. In der collagenartigen Montage »Friedrichstraße« (1818) zitiert er das tumultuarische Straßenbild der Berliner Großstadt, deren Häuserwände er aufsprengt, um das Dahinter zu befragen. »Daum heiratet« (1920) zeigt einen Marionettenmann, einen Mann der Weimarer Republik, eine Null, von der Gesellschaft mit bestimmten Wünschen programmiert und in einen fleißigen Konsumenten verwandelt, für den die einzig mögliche Braut nur eine Hure mit genauso mechanischen Leidenschaften und Handlungen sein kann.
Otto Dix verstand das Hässliche, Morbide und Trostlose so altmeisterlich zu malen, und suggerierte doch durch die penetrante Genauigkeit in der Wiedergabe aller Details brutalste Illusionslosigkeit (»Kriegskrüppel«, »Streichholzhändler«, 1920). »Die Nacht« (1922) von Max Beckmann – Menschen, in einen qualvollen Schlaf versunken und in einem engen Raum zusammengedrängt, der mit seinen sich dehnenden Diagonalen, eckigen Verkantungen und proportionalen Verschiebungen eine fast unerträgliche Spannung erzeugt.
Auch das Interesse von Rudolf Schlichter galt vor allem den Randfiguren der Großstadt, den Bettlern, Krüppeln, Arbeitslosen und Prostituierten, sie sollen schlaglichtartig die Brüchigkeit und Melancholie des Lebens sichtbar werden lassen.
In Georg Scholz’ karikaturenhaft überzogenen Figurenerfindungen – etwa in den »Industriebauern« (1920) – geht es nicht um benennbare Individuen, sondern um Typen als Repräsentanten schichtenspezifischer Verhaltensweisen und ideologischer Wertvorstellungen.
Zu einem neusachlich detailliert und gewissermaßen neutral beschriebenen Ereignis werden die typologischen Bildnisse von Conrad Felixmüller. Hier ist der Mensch ohne Beziehung zur Welt, die ihn umgibt, genau wie die Dinge selbst ohne Beziehung zueinander sind. Während Dix in dieser Zeit monströse Weiber malte, bannte Kurt Günther Frauengestalten aufs Papier, die Erotik und einen Hauch von Frivolität ausstrahlen (»Elisabeth auf einer Bank«, 1926).
Die Bedrohung des Menschlichen, die kreatürliche Angst ist ein Hauptmotiv bei Carl Hofer: klassische Figurenthemen, in denen eine unpersönliche oder auch überpersönliche Existenz ihre Ausprägung findet. Plötzlich auftauchende Phantome, unvorhergesehen aufkommende Gefühle von Angst und Beklemmung. Mit eiskaltem Blick betrachtet dagegen Christian Schad seine Modelle, und auch sie sind abwesend, leere Hüllen, Ausdruck ihrer tragischen Einsamkeit.
Georg Schrimpfs Figurenbilder verdichten in madonnenhaften Mädchen ein stilles, zeitloses Sein voller Würde und Gelassenheit, während kühle Kargheit die kubisch gestaffelten Landschaften Alexander Kanoldts mit einer überzeitlichen Stille, einer allem Alltäglichen enthobenen Ruhe prägen. Man konsumierte Ersatz-Wirklichkeit, die sich, der unbefriedigenden politischen und ökonomischen Wirklichkeit wegen, als bessere Wirklichkeit präsentierte. Auch in dieser doppelten Einstellung zur Wirklichkeit kann man einen Ausdruck der zeittypischen Zerrissenheit sehen.
Viele neusachliche Künstler haben sich später auf die Landschaft zurückgezogen, die sie mitunter zu einer fantastischen Vision übersteigerten. Die Formbildung nimmt dem Gegenständlichen seine Begrenztheit und Festigkeit, sie bekommt eine atmosphärische Leichtigkeit, so dass sie fast zum Vorwand für ein artistisches und hochkultiviertes Zeichnen wird.
Dagegen stellt dann der 1930 erfolgte Zusammenschluss linker Künstler in der »Asso« noch einmal ein Aufbäumen gegen die sich verschärfende gesellschaftliche Konstellation und die politische Formierung des Nationalsozialismus dar. So Karl Hubbuch mit einem von Nazifahnen flankierten »Alexanderplatz«, Oskar Nerlinger mit dem Selbstmord als »Letztem Ausweg« (1930/31), Curt Querner mit seinem kritisch-skeptisch die Welt beurteilenden »Selbstporträt« (1932) oder Alice Lex-Nerlinger mit ihrer in der Zelle sitzenden Gefangenen (1933).
Gefühl ist Privatsache. Verismus und Neue Sachlichkeit. Ausstellung des Kupferstichkabinetts in der Oberen Sonderausstellungshalle des Kulturforums Potsdamer Platz, Eingang Matthäikirchplatz, Di, Mi, Fr 10-18, Do 10-22, Sa/So 11-18 Uhr, bis 15. August. Katalog.
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