»Wir dachten, die Revolution ist gleich um die Ecke«

Wann wird eine Straße nach Ruth Werner benannt, die vor zehn Jahren starb?

  • Rudolf Hempel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Ausstellung »Sonjas Vermächtnis« wird heute im Rahmen einer Gedenkstunde (ab 18 Uhr) in der Begegnungsstätte PRO, Kiefholzstraße 275, 12437 Berlin, eröffnet. Zu sehen bis 7. August. Montag und Donnerstag von 15 bis 18 Uhr.
Die Ausstellung »Sonjas Vermächtnis« wird heute im Rahmen einer Gedenkstunde (ab 18 Uhr) in der Begegnungsstätte PRO, Kiefholzstraße 275, 12437 Berlin, eröffnet. Zu sehen bis 7. August. Montag und Donnerstag von 15 bis 18 Uhr.

Als wir uns verabschiedeten, schenkte sie mir die »Carwitzer Notizen«. »Die habe ich mir von der Seele gerissen«, so ihr Kommentar. Übergabe war an einem Sommertag des Jahres 1991. Wir hatten uns nicht im Domizil Dammweg 35 in Berlin-Baumschulenweg, sondern auf dem »Landsitz« in Carwitz getroffen. Das Fischerdorf nahe Feldberg, weithin bekannt durchs Hans-Fallada-Museum, war für sie und ihre Familie seit den 50er Jahren in den Ferienmonaten ein Ort der Erholung von der Großstadt. Man trifft sich mit Freunden, denkt nach über Gott und die Welt. Und schreibt.

Beim Spaziergang blickten wir mit gemischten Gefühlen zurück und nach vorn: auf den sinkenden Stern Gorbatschows, mit Bedauern auf die schon gescheiterte DDR, mit Bedenken auf die neue, für uns aber alte Republik. Später zeigte sie mir die im Vorjahr in London erschienene Ausgabe von »Sonjas Rapport«. Hier hatte eine Kundschafterin, Agentin, Spionin – je nach Standpunkt und/oder Standort – lakonisch Mitteilung von ihrem Leben und unserer Welt gemacht. Dafür wurde sie vom Freund hoch dekoriert, aber auch vom Feind gelobt und anerkannt.

Die am 15. Mai 1907 im Westen Berlins geborene, einem gutbürgerlichen, linksliberal orientierten jüdischen Hause angehörende junge attraktive Frau war zu Bewusstsein gekommen in einer Zeit, die geprägt war von Hoffnung auf gravierende gesellschaftliche Veränderung: »Wir haben gedacht, die Revolution ist gleich um die Ecke.« Und sie kaufte sich vom ersten Lehrlingsgeld, »es mögen 30 Mark gewesen sein«, eine Parabellum.

Als Ruth Werner noch Ursula Kuczynski hieß, heiratete sie. Das war 1929. Ausgerüstet mit grenzenlosem Sendungswillen, erstaunlichem Mut und starker Energie begann für sie ein Jahr später in Shanghai eine neue Etappe ihres Lebens. Angeworben und mit Deckname »Sonja« versehen von Richard Sorge, arbeitete sie dann 20 Jahre im Auftrag des Sowjetischen Militärischen Geheimdienstes GRU. Sie wirkte, oft unter Lebensgefahr, in China, Polen, der Schweiz. Und in England, wo sie als »Nachrichten-Bote« des am amerikanisch-britischen »Manhatten«-Projekt beteiligten Physikers Klaus Fuchs mit diesem die Antihitler-Koalition stärkte und Bündnispartner Sowjetunion half.

An ihrer Seite standen auch ihr erster Mann (Architekt Rolf Hamburger), eine Liaison (Führungsoffizier Ernst) und der zweite Ehemann (Spanienkämpfer Len Beurton). Die Väter der Kinder Michael, Janina und Peter. Mit denen im »Gepäck« zog Sonja durch eine Welt permanenter Herausforderungen. Was ein solches Leben im Klartext bedeutet, darüber mag jeder selbst seine bildhafte Vermutung anstellen.

Ein Bild von Ruth Werner gewonnen hatten schon zu DDR-Zeiten nicht nur ihre linken Nachbarn in Berlin-Treptow. Sie kannten die freundliche Frau aus nächster Nähe. Was dazu führte, dass sie dieses Bild von ihrer Kundschafterin und Antifaschistin auch nach der für viele problematischen »Wende« behalten wollten. Und das nicht nur als persönliche Erinnerung.

Die Treptower LINKEN unterstützen gemeinsam mit dem Bund der Antifaschisten und dem Bürgerkomitee ein Projekt, das Jutta Matuschek von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus initiiert hatte: eine »Straße für Ruth Werner«. Anlass war deren 100. Geburtstag im Mai 2007. Der Bezirksversammlung Treptow/Köpenick wurde dazu von der Linksfraktion ein Antrag für einen Uferweg am Plänterwald vorgelegt, eine Unterschriftendsammlung war vorausgegangen. Letztendlich wurde der Vorschlag abgelehnt.

Wenn sich heute, an ihrem zehnten Todestag, Ruth Werners Nachbarn von damals, Genossen, Freunde und Sympathisanten treffen, dann wird Hans Erxleben von der Linksfraktion Treptow/Köpenick an das Straßen-Projekt erinnern. Angeregt werden soll ein in der nächsten Legislatur zu leistender vorurteilsfreier Anlauf. Er stehe nach wie vor zu dem Vorschlag. Und er sehe darin eine Empfehlung an künftige Gremien, eine wirklich machbare Version für eine Ehrung zu suchen und zu finden. »Das wäre doch dann ein schönes Geschenk zu Sonjas 105. Geburtstag im Mai 2012.«

Auf dem Weg dorthin sind ebenfalls die LINKEN von der Basisorganisation Feldberg. Sie gründen heute in Carwitz einen gemeinnützigen Verein. Der wird den Namen Ruth Werner tragen. In Vorbereitung ist eine Foto-Präsentation im Scheunenladen: »Sonjas Vermächtnis – Einblicke in das Leben Ruth Werners«. Diese Ausstellung war im Mai bereits einige Wochen im Hans-Fallada-Museum gezeigt worden, ab heute kann man sie auch in Berlin-Treptow besichtigen.

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