Flickschuster am Werk

  • Christa Luft
  • Lesedauer: 3 Min.
Kurz, Nick, Luft & Hickel – Flickschuster am Werk

Die schwarz-gelbe Bundesregierung ging aus einer Liebesheirat hervor. Doch der Rosenkrieg ließ nicht lange auf sich warten. Längst »regiert« eine Chaostruppe. Angetreten waren die Koalitionäre mit dem Versprechen »Mehr Netto vom Brutto«. Von Anfang an realitätsfern, ist die Steuersenkung für den Mittelstand inzwischen kleinlaut vertagt worden.

Nun geht die Netto-Lüge weiter. Ab 2011 sollen die Krankenversicherungsbeiträge steigen und Zusatzbeiträge erhöht werden. In dieser Lösung mündet nach achtmonatiger Debatte die großspurig angekündigte »tief greifende« Gesundheitsreform. Flickschusterei statt tragfähiger Alternativen wie Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen in die gesetzliche Versicherung. Abgesehen von der Mehrbelastung für Versicherte widerspricht das Vorhaben auch dem neoliberalen Glaubenssatz, höhere Lohnnebenkosten verschlechterten die Bereitschaft der Firmen, Arbeitskräfte einzustellen.

Sorgen wollte man für mehr Systematik im Steuersystem. Mit der Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Hoteliers ist das Gegenteil eingetreten. Das »Sparpaket« der Regierung firmiert unter »Haushaltskonsolidierung«. Statt Wertschöpfung und damit Einnahmen durch eine Belebung der Realwirtschaft anzuregen, setzt es einseitig auf Kürzung von Sozialausgaben vor allem für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen und für Kommunen. Geschont werden Spitzenverdiener, Vermögende und Großerben. Unfassbar, wie Schwarz-Gelb darüber hinweggeht, dass es in Deutschland mit Abstand die meisten Geld-Reichen in Europa gibt. Ihre Zahl kletterte selbst im Krisenjahr 2009 um 6,3 Prozent auf 861 000 – mehr als in Großbritannien (448 000) und Frankreich (383 000) zusammen. Beruht das alles auf eigener Leistung der Betreffenden? Nein, sie lassen ihr Geld für sich »arbeiten«.

Das gesamte Geldvermögen in Deutschland betrug Ende 2009 4,6 Billionen Euro. Ein Prozent der Bevölkerung verfügte über fast die Hälfte davon. Allein diese Vermögenskonzentration bei den Mega-Reichen ist höher als der öffentliche Schuldenberg von 1,7 Billionen Euro. Für Vernunftbegabte ist die Schlussfolgerung klar: Multimillionäre müssen die Schulden, an denen sie verdient haben, mit abtragen helfen. Schwarz-Gelb aber hält die Hand über sie. Keine Spur von einer Idee, die Gerechtigkeit im Ganzen und auf Dauer sichern könnte. Der Staat wird nicht als Organisator und Schützer des Gemeinwohls verstanden. Er verkommt zum Löscher von Bränden, die Spekulanten gelegt haben.

Nicht nur, dass die Koalition keine zukunftsfeste Antwort auf soziale Fragen im eigenen Lande hat, sie verschärft mit der Sparpolitik auch die Krise in der Eurozone. Es fehlen schlüssige Konzepte zur Perspektive des Währungsraums, zum Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte, zur künftigen Rolle der Banken und zur Lenkung liquiden Kapitals in die Realwirtschaft, statt es weiter auf die Finanzmärkte fluten zu lassen.

Mit der brachialen Senkung des deutschen Haushaltsdefizits und dem Widerstand gegen Lohn- und Gehaltsanhebungen, die die Binnennachfrage ankurbeln könnten, erschwert Deutschland es anderen Euroländern, in der Wettbewerbsfähigkeit aufzuholen. Es zwingt ihnen eine falsche Wirtschaftspolitik auf, indem es in der Krise auf massivem Abbau der Staatsverschuldung beharrt. Damit treibt es seine Partner in die Deflation. Die Opposition muss jetzt massenmobilisierende wirtschafts- und finanzpolitische Alternativen vorlegen, wenn das schwarz-gelbe Durchwursteln ein Ende haben soll.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -